9
gebildet wurden. Wir nannten deshalb das Netz von Linien, in das
wir die von uns gesehenen Punkte nach ihrer Richtung und Entfer
nung von uns eintrugen, eine Radkarte und konnten diesen kleinen
Teil der Erdoberfläche, den unser Gesichtsfeld einnahm, als vollkommen
eben ansehen. Aber je höher wir in Gedanken unseren Standpunkt
nahmen, desto mehr erweiterte sich unser Gesichtskreis, so dafs es
bei stets zunehmender Höhe unseres Augenpunktes bald nicht mehr
zulässig war, das Gesichtsfeld als eine Ebene zu betrachten. Dann
nahmen wir unseren mit Meridianring und Horizont vollständig aus
gestatteten Erdglobus zur Hand, stellten ihn auf die Polhöhe unseres
Ortes ein und nahmen diesen als Zenithalpunkt an. Veranschaulichten
wir nun unsere Gesichtslinien, also die Speichen unserer Radkarte,
durch einen von unserem Standpunkte aus bald nach dieser, bald nach
jener Richtung hin über den Globus ausgespannten Faden, so ergab
sich zunächst, dafs diese Gesichtslinien in Verfolg ihrer geraden Rich
tung durch Bogen gröfster Kreise dargestellt wurden, die vertikal
d. h. senkrecht auf dem Globushorizont standen, so dafs die Kompafs-
richtungen, die wir von unserem Standpunkte aus beobachtet hatten,
unmittelbar am Horizontringe abgelesen werden konnten, dafs aber
nur die einzige Nordsüdlinie mit einer Linie des Gradnetzes, nämlich
mit unserem Meridiane zusammenfiel.
§ 10. Wir verlegten deshalb, um die Betrachtung zu vereinfachen,
unseren Standort in den Pol. Von hier aus fielen sämtliche Gesichts
linien mit Meridianen zusammen, aber die Richtuugsverschiedenheiten
konnten nicht mehr durch Kompafsrichtungeu oder Azimuthe bestimmt
werden; an ihre Stelle traten die Winkel unter denen sich die Meri
diane am Pole schnitten d. h. die Längenunterschiede. Die Radreifen
aber, d. h. die Begrenzungslinien unseres Gesichtsfeldes, die sich mit
der Höhe des Augenpunktes erweiterten, wurden durch Breitenparallele
dargestellt, deren sphärische Halbmesser oder Poldistanzen die Speichen
der Radkarte bildeten. Und da diese Speichen genau die Entfernungen
der Orte von unserem Standpunkte mafsen, so nannten wir eine solche
Karte eine speichentreue. w ''•
Je höher wir nun unseren Standpunkt nahmen, desto mehr er
weiterte sich zwar unser von einem Breitenparallel begrenztes Gesichts
feld, aber desto weniger konnten wir auch die Kugelhaube, die wir
überblickten, als eine Ebene betrachten. Wir schlugen deshalb, um
die Kugeloberfläche zu verebnen, ein anderes Verfahren ein. Statt
unseren Standpunkt zu erhöhen, legten wir durch ihn eine Berührungs
ebene oder erweiterten die Ebene unseres ursprünglichen Gesichtsfeldes
und liefsen nun die unter ihr befindlichen Punkte der Kugeloberfläche
sich bis zu dieser Ebene erheben, aber so, dafs ihr geradliniger Ab