Full text: Das Verebnen der Kugeloberfläche für Gradnetzentwürfe

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griff zu geben, verfolgt man wohl am besten den geschichtlichen Weg, 
auf dem sie entstanden sind. Man braucht dabei keineswegs die höhere 
Mathematik zu Hülfe zu nehmen. 
§ 39. Mercator hat über den Gedankengang, der ihn zu seiner 
Erfindung geführt hat, nichts berichtet. Aber ich glaube nicht zu 
irren, wenn ich ihn mir in folgender Weise vorstelle. Unter seinen 
Arbeiten in der praktischen Mechanik spielte die Anfertigung von Erd- 
globen eine Hauptrolle, und dazu bedurfte er gedruckter Kugelstreifen 
in Gestalt sphärischer von Pol zu Pol gehender Kugelzweiecke, mit 
denen der Globus überzogen wurde. Wie diese nun auf demselben 
Blatte neben einander gedruckt vor ihm lagen, da mufste ihm wie von 
selbst der Gedanke kommen, ob sich nicht dies unzusammenhängende 
Bild der Erdoberfläche in ein zusammenhängendes verwandeln lasse. 
Dafs dies nur dadurch geschehen könne, dafs den nach den Polen 
hin abnehmenden Bogen der Breitenparallele dasselbe Linearmafs ge 
geben werde, brauchte Mercator nicht zu erfinden; solche Karten lagen 
bereits in den von den Seefahrern benutzten Plattkarten mit ihrem 
säuligen höhentreuen Gradnetze vor. Sein schöpferischer Gedanke war 
eben der, und niemand vor ihm war darauf gekommen, dafs die Ähn 
lichkeit des Abbildes mit dem Urbilde in den kleinsten Teilen erhal 
ten bleibt, wenn das Linearmafs der Breitengrade auf den Meridianen 
in demselben Verhältnis vergröfsert Avird, wie das Linearmafs der 
Längengrade auf dem anliegenden Breitenparallele vergröfsert werden 
mufs, AA^enn man diesen die Gröfse eines Äquatorialgrades giebt. Er 
drückt sich darüber in der Legende seiner Karte, die die Überschrift 
Inspektori S. hat, ganz klar und deutlich aus: Ich habe die Breiten 
grade nach den Polen hin allmählich in demselben Mafse vergröfsert, 
wie die Breitenparallele in ihrem Verhältnisse zum Äquator vergröfsert 
werden. Gradus latitudinum versus utrumque polum paulatim auximus 
pro incremento parallelorum supra rationem, quam habent ad aequinoc- 
tialem. Wir haben bereits oben bei dem strahligen winkeltreuen Grad- 
netzentAvurfe gesehen, dafs Mercator der erste gewesen ist, der sich 
über die Bedingung der Ähnlichkeit in den kleinsten Teilen vollständig 
klar gewesen ist. Dafs die stereographische Projektion diese Eigen 
schaft besitzt, hat er zwar erst achtzehn Jahre später bekannt ge 
macht, aber wahrscheinlich schon bei der Anfertigung der Weltkarte 
geAvufst; er hätte sich in Bezug auf diese gerade so ausdriicken 
können, wie er es bei jener gethan hat: Etsi gradus ab aequinoctiali 
versus utrumque polum crescant } tarnen latitudinis longitudinisque gradus 
in eadem ab aequinoctiali distantia eandem ad invicem proportionem 
servant, quam in sphaera, et quadranguli inter duos proximos paralle- 
los duosque meridianos rectangulam figuram habent, quemadmodum in
	        
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