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Projektionen nur mit den Hülfsmitteln der höheren Mathematik zu
erreichen ist. Aber es ist doch eine bemerkenswerte Thatsache, dafs
einerseits die berühmten Abhandlungen von Lagrange und Gaufs für
die ausübende Kartographie keinerlei Ausbeute geliefert haben, und
dafs andererseits die beiden wertvollsten winkeltreuen Gradnetze, das
strahlige von Hipparch und das säulige von Mercator längst erfunden
waren, ehe man an die Analysis des Unendlichen auch nur dachte.
Dasselbe gilt von den drei flächen- und abweitungstreuen Entwürfen,
dem von Stab und den beiden sich schon bei Mercator findenden,
dem pseudobonnischen und dem pseudoflamsteedschen, während das
beste aller flächentreuen Gradnetze, das strahlige von Lambert, so wie
auch das von Mollweide ihre Begründung in elementarmathematischen
Sätzen finden. Bis jetzt haben sich die geometrisch einfachsten Netze
auch als die wertvollsten erwiesen; und die preufsische Polyederpro
jektion ist, wie Jordan mit Recht sagt, das Ei des Columbus. — Es
wäre als ein grofser Gewinn zu betrachten, wenn sich unsere Karto
graphen in der Auswahl der Projektionen auf die gemeinverständlichen
beschränken wollten.
Ich habe es für nötig gehalten, meiner Arbeit einige historische
Notizen einzuflechten. Es wäre nicht mehr als recht und billig, wenn
jeder Projektionsart der Name ihres Urhebers beigelegt würde, aber
es herrscht in dieser Beziehung leider ein grofser Wirrwarr, und daran
sind wir Deutschen schuld. D’Avezac war durch die französisch ge
schriebene Geographie des dänischen Flüchtlings Malte-Brun auf die
Arbeiten der deutschen Gelehrten in diesem Fache aufmerksam ge
macht, und es hat ihm namentlich die Monatliche Correspondenz von
Zach reiche Ausbeute geliefert. Er fand hier auch den von Malte-
Brun empfohlenen Gradnetzentwurf von Mollweide und konnte deshalb
später dessen Anrecht gegen den angeblichen Erfinder Babinet wahren.
Aber nichts war dem Nationalgefühle des Franzosen willkommener,
als die Bekanntschaft mit dem von Tob. Mayer d. J. verfafsten Lehr
buche. Hier fand er den Vorschlag, dafs man einen Gradnetzentwurf
füglicherweise nach dem Kartographen benennen könne, der ihn vor
zugsweise angewendet habe, so z. B. die von Mercator ersonnene Pro
jektion auf den schneidenden Kegelmantel nach De l’Isle und von
den beiden sich ebenfalls schon bei Mercator findenden flächentreuen
Netzen das eine nach Bonne, das andere nach Flamsteed, trotzdem
Mayer selbst darauf hinweist, dafs das letztere schon vorher von Sanson
vielfach benutzt sei. D’Avezac war viel zu ehrenhaft, um nicht jedem
das Seine zu geben, und hat auch die erstgenannte Projektion, wie
schon Raupach vor ihm, auf Mercator zurückgefübrt, aber die Be
nennung nach französischen Gelehrten kam seinem Nationalstolze doch