65
andern. Genug, der Wirrwarr in der Benennung der Gradnetzent
würfe ist unleidlich, und wie soll ihm abgeholfen werden? Etwas ge
bessert würde die Sache werden, wenn man wenigstens von einer
pseudobonnischen, pseudoflamsteedschen, pseudopostelschen usw. Pro
jektion sprechen wollte, aber man mufs Hammer Recht geben, wenn
er der Namengebung nach den Urhebern eine sachlich-systematische
Einteilung und Benennung vorziehen möchte. Freilich ist eine solche
mit grofsen Schwierigkeiten verbunden, und ich kann, offen gestanden,
derjenigen Tissots nicht den grofsen Beifall schenken, der ihr von
anderer Seite gespendet wird. Gerade er von seinem Standpunkte
aus hätte damit beginnen sollen, die Kleie vom Mehl, das Unkraut
vom Weizen zu scheiden. Es sind eben die ganz willkürlichen, zweck-
und wertlosen Projektionen, die sich am schwierigsten in ein System
einordnen lassen. Hat man sich ihrer entledigt, so wird man mit
den übrig bleibenden schon zu stände kommen.
Es ist hoch an der Zeit, dafs D’Avezac’s geschichtlicher Abrifs,
der so vieler Berichtigungen und Ergänzungen bedarf, durch eine
kritische Geschichte der Kartographie, wie sie z. B. von Fiorini ge
schrieben werden könnte, ersetzt wird. Nicht nur seine unberechtigten
Namengebungen, sondern auch seine sachlichen Irrtümer verbreiten
sich immer mehr und setzen sich immer fester. Dazu kommt, dafs
er gerade diejenigen Projektionen, die wenn auch nicht wissenschaft
lich, so doch historisch von der höchsten Bedeutung sind, nur stief
mütterlich behandelt hat. Das gegenwärtige Jahr mit seiner Jubel
feier ruft auch die Erinnerung an die Kartographie im Zeitalter der
Entdeckungen, an die loxodromischen und an die platten Seekarten,
wieder wach. Wie wenig ist D’Avezac gerade ihnen gerecht gewor
den! Dafs er hei den letzteren auch nicht mit einem Worte ihrer
Vorzüge gedenkt und dadurch erklärt, wie es möglich gewesen ist,
dafs sich dies Gradnetz bei den Seeleuten noch Jahrhunderte lang
neben Mercators Projektion hat erhalten können, darf ich ihm nicht
zum Vorwurfe machen, weil das den Rahmen seines Abrisses über
schritten haben würde. Ich habe in § 45 einige Andeutungen darüber
gegeben, die wohl verdienten, in einer Geschichte der Kartographie
weiter ausgeführt zu werden. Aber unbegreiflich ist es mir, wie er
den Bau der mittelalterlichen Seekarten so gründlich hat verkennen
können, dafs er sie zu den platten Karten rechnet; und ich kann
nicht umhin, hier an diesem Orte mein Bedauern darüber auszu
sprechen, dafs sogar ein Mann wie Nordenskiöld sich diesen Irrtum
hat aneignen können, vgl. seinen Facsimile-Atlas pag. 84a der eng
lischen Ausgabe. In diesem unvergleichlich schönen Werke, dessen
Loh, sowohl was die äufsere Ausstattung als den inneren Wert, sowohl
5