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Einleitung.
werden bald nicht mehr folgen können. Es ist nicht gemeint, dass alle und
jede Beziehung, die erwähnt wird, gezeichnet werde; die logische Kraft der
Beweise genügt in der Mehrzahl der Fälle, jedoch nur unter der Bedingung,
dass zuvor gewisse Schwierigkeiten mittelst der Zeichnung überwunden worden
sind. Es bleibt also der Phantasie ein gut Teil der von Steiner empfohlenen
»Frische der Vorstellung« gesichert, auch wenn man sich die Kenntnis und
Fertigkeit erwirbt, hervorragende Lehren sichtbar darzustellen. Zudem müssen
wir erkennen, dass unsere Phantasie durch die Zeichnung lebhaft angeregt wird.
Eine gelungene Zeichnung erregt des Schülers wie des Lehrers grösste Befriedigung.
Ganz besonders aber gilt dieses von der synthetischen Geometrie des Raumes.
Bei der grossen Zahl von Lehrbüchern der Perspektive erscheint es geboten
die Gesichtspunkte anzudeuten, von welchen aus hier das Gebiet bearbeitet
worden ist. Als Leserkreis dachte sich der Verfasser vor allem Lehrer und
Docenten der höheren Mathematik, dann auch Künstler und Laien von tieferer
mathematischer Bildung, am wenigsten Techniker aller Art. Den Technikern
wird stets die darstellende Geometrie die Grundlage bieten, von der aus sie
auch Bilder der Centralperspektive, nach bekannter Schablone der Mass-
perspektive, zu Stande bringen. In diesem Sinne verstehe ich die Worte, die
G. Hauck in seinem Correferat über die »Ordnung des mathematischen Uni
versitätsunterrichts auf Grund der neuen preussischen Prüfungsordnung« in
München gesprochen hat 1 ). Auf Seite 26 Anm. 2 heisst es: »Die Verwendung
der Centralprojektion für metrische Aufgaben ist als unfruchtbares Theoretisieren
auf die Seite gedrängt. Jede Aufgabe weist durch ihre Natur auf eine bestimmte
zweckinässigste Darstellungsmethode hin, in der sie auszuführen ist. Sie nach
einer anderen Projektionsmethode zu behandeln, ist als Fehler zu bezeichnen.
Für Darstellungsmethoden von bloss abstraktem Interesse ist in der ange
wandten Mathematik kein Raum.«
So gewiss in der »angewandten Mathematik« der Zweck die Methode
bedingen wird, so unentbehrlich erscheint die Centralperspektive für »Dar
stellungen von bloss abstraktem Interesse«. Wenn richtiges Denken
und gewandte Vorstellungen, passende Benennungen, sowie kurze und bezeich
nende Ausdrucksweise angestrebt und errungen werden sollen, so darf dieses
alles immerhin ein »abstraktes Interesse« genannt werden. Ob die Techniker
dessen auch bedürfen, mögen Fachleute entscheiden.
Immer mehr erscheint es notwendig, die Elemente der synthetischen
Geometrie in das perspektivische Denken und praktische Zeichnen einzuführen.
Diesem Bestreben stehen ganz besondere Schwierigkeiten im Wege, und zwar
hauptsächlich wegen des nicht geringen Umfanges dieser Grundlehren. Der
Verfasser' hat sich, auf Grund seiner Erfahrungen in Lehrvorträgen an der
Universität, entschlossen, hier diese Lehren aufzunehmen, soweit als das vor-
4) Siehe: »Verhandl. der Gesellsch. deutscher Naturforscher und Ärzte«, 74.Ver-
samml. zu München 4 S99. Th. II, 1. Leipzig, Verlag v. F. C. W. Vogel, i 900. Seite 4 7—27.