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Die Kartographie als Wissenschaft.
bringung ganzer Fürstengalerien 1 und dazugehöriger Wappen 2 dient die Karte. Für
jene Zeiten war in der Tat eine so reich ausgestattete Karte ein begehrter und gern
gesehener Wandschmuck; und es ist nicht weiter erstaunlich, wenn der kurfürstlich
sächsische Land- und Grenzkommissar A. F. Zürn er (f 1742) den „großen Herren“
empfahl, die Karten in Tapetenform herstellen und „damit ihre Zimmer auf eine propre
und magnifique Art meubliren zu lassen.“ Wenn gute Karten heute noch als Wand
schmuck empfohlen werden, kann man das nur begrüßen. 3
Kein Zufall ist es, daß die Blütezeiten kartographischen Schaffens vielfach mit
denjenigen der Kunst zusammenfallen. Die Kunst folgt gern dem Glanz des Herrscher
hauses, der Monarchie. Eine ähnliche Erscheinung müssen wir auch bei der Karto
graphie feststellen, eingedenk der alten Herrlichkeit an den Höfen Frankreichs 4 ,
Bayerns, Sachsens, Österreichs usw. Die alten Fürstenhöfe und die geistig bedeutenden
Reichsstädte mit ihren tüchtigen, kunstliebenden Patrizierfamilien waren Horte und
Pflegestätten der Kunst und der Kartographie. 5 Gewiß ist auch, daß bis in die neueste
Zeit die Monarchie die Kartographie immer gepflegt und gehegt hat. Dagegen zerstört
die Revolution nur Werte und die Republik soll, wie man sagt, Kunst und Wissen
schaft schützen. Damit ist für die Kartographie blutwenig getan, sie muß nicht bloß
beschützt, sondern vor allem tatkräftig unterstützt werden, wie ich schon an anderer
Stelle betont habe (s. S. 77).
Im 19. Jahrhundert klären sich die Ansichten, daß man in der Karte nicht bloß
ein Kunstprodukt, sondern ein bedeutendes wissenschaftliches Erzeugnis, als welches
sie sich allmählich herauswächst, vor sich hat. Trotzdem lesen wir noch von „Gemälde“,
„Naturgemälde“ (0. Peschei), aber nicht im Sinne des ältern Kunstproduktes, sondern
hauptsächlich auf die Art der Wiedergabe der Oberflächengestalt gemünzt. Auch hervor
ragende Kartographen und Kartenkenner bedienen sich gern dieser und ähnlicher
Redewendungen und Vergleiche. E. v. Sydow spricht des öftern von Porträt und
Porträtieren 6 , auch Chr. v. Steeb 7 ; H. Habe nicht und andere von dem Antlitz der
Erde. In diesem Vergleich kommen sich Karte und Kunst schon näher. Böcklin hat
einmal gesagt, daß das Porträt die elendeste Kunstgattung sei, weil es dem Künstler
in der Behandlung des Stoffes Fesseln auf erlegt. „So können wir auch die Topographie
und Kartographie als die schwierigste und sprödeste Kunstbetätigung ansehen“
(F. Becker). Dagegen müssen wir die Versuche als abenteuerlich bezeichnen, die die
Horizontalschichten und Schraffiermethoden auf ein menschliches Gesicht anwenden. 8
i
1 So z. B. auf: Geographische Karten / von gantz Teutschlandt / worinen Zur Nachricht an-
gedeütet vnd Beschrieben wirdt / was Ihr Königl. Mayt. In Schweden vnd dero Allyrten / beyden
Anno 1648 Jahrs zu Münster vnd Oßnabrugt getroffenen Frieden Schluß etc. [Univ. Bibi. Göttingen].
2 In der Heraldik ist das Studium dieser Karten, die in der richtigen Wiedergabe von Wappen
nicht selten Hervorragendes leisten, noch nicht genügend ausgenutzt worden.
3 So empfiehlt z. B. H. Habenicht S. G. Bartholomews Topographical and physical map
of Palestine (Edinburgh 1901) als einen prachtvollen Wandschmuck. P. M. 1902, LB. 146, S. 45.
4 Man denke hier nur an die vielen Auszeichnungen für Kartographen als eines „Geographe
du Roi“ oder „Geographe ordinaire du Roi“.
5 Daß insbesondere ein Zeitalter Ludwig XIII. und Ludwig XIV, das den Künsten und
Wissenschaften so förderlich war, auch auf die Kartographie großen Einfluß gewinnen mußte, ist
einleuchtend.
6 E. v. Sydow z. B. in P. M. 1859, S. 209.
7 Chr. v. Steeb: Die Kriegskarten. Mitt. des k. k. mil.-geogr. Inst. XX. Wien 1901, S. 144.
8 Charties (Beamter des französischen Kriegsdepartements): Models de Topographie. Paris
s. a. Etwa Mitte des 19. Jh. — Ähnlichen Versuchen begegnet man auch in Deutschland.