Die Bedeutung der Karte.
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Hölienschichtkarten von J. Bartholomew) geschaffen hat. Daß J. B. Bartholo-
m ew in dem Vorwort zu dem „The Survey Atlas of England and Wales“ (Edinburgh
1 908/04) von dem Atlas seihst sagt .,as a national work the English Ordnance Survey
is unsurpassed in any country“, wollen wir dem bekannten Verfasser und Verleger,
im Gegensatz zu Koffmahn, als eine kleine nationale Übertreibung zugute rechnen. 1
Tatsächlich kann sich kein Atlaswerk eines andern Landes damit messen, schon
deshalb nicht, weil ein so eigenartig angelegtes Werk in keinem Lande bis jetzt ein
Pendant gefunden hat. So hat der Engländer für sein Mutterland durchaus Muster
gültiges geschaffen. Sobald er aber über sein engeres Vaterland hinauskam, war es
vorbei mit der kartographischen Darstellung des Geländes. Leider ist es nur allzu
wahr, daß der ewige Blick auf das Meer den Engländern den Sinn für die Bergformen
eingeebnet hat. Diesen Mangel an morphologischem Sehen und Denken beklagte
schon 1885 J. Geikie. Daß es in der modernen Geographie außer Flüssen, Städten,
Eisenbahnen und politischen Grenzen auch physische Elemente gibt, scheint erst
neuerdings dem kartographisch sich betätigenden Engländer einzuleuchten. Trotzdem
ist noch auf den Karten neuester Atlanten die Gebirgsdarstellung unbeholfen und roh,
in der alten Baupenmanier. Schon seit den Zeiten von Arrowsmith leidet die eng
lische Terraindarstellung geradezu an hahnebüchenen Fehlern. Atavistische Leistungen
sind nicht selten. Selbst auf modernen Karten wird dort, wo die Namengebung be
einträchtigt werden könnte, das Gelände einfach unterdrückt. Das kann man selbst
beim besten Willen nicht einmal mit dem kaufmännisch-praktischen Sinn des Eng
länders entschuldigen, und schwer nur vermögen einen wegen der mangelhaften Terrain
darstellung der feine Stich, die Lesbarkeit und das diskrete politische Kolorit zu ver
söhnen. Nur ein paar Beispiele mag unser hartes, aber sicher gerechtes Urteil illustrieren.
In Keith Johnstons Boyal Atlas of modern geography 1 2 , dem Gegenstück zu
unserm Stieler, Debes oder Andree, tritt auf der Karte von Deutschland der Harz gar
nicht hervor, das Erzgebirge repräsentiert sich als höheres und mächtigeres Gebirge
als das Biesengebirge, auf Blatt 19 ist es im Maßstab 1: 2032000 besser und ausführ
licher als auf Blatt 18 in 1: 1050000 behandelt. In ähnlicher Weise wird das Gelände
auf andern Kartenwerken großer englischer Firmen verhunzt. 3
Mängel und Bückständigkeit zeigen sich selbst bei der Einzelkarte des Ordnance
Survey 4 , und dennoch ist James Geikie so erfreut darüber, besonders beim Anblick
der schottischen Gebirge, daß er 1885 an seine Landsleute die Frage stellt, „wie lange
einsichtige Lehrer nun noch fortfahren würden, jene veralteten Mißbildungen (antiquated
monstrosities) zu dulden, die so oft als Wandkarten in Schulräumen gebraucht würden.“
Seitdem ist es ein klein wenig besser geworden. Alles in allem genommen: Den Eng
ländern fehlt bis jetzt die kartographische Elastizität und Kapazität.
1 O. Koffmahn in P. M. 1902, S. 232. — Auch Eug. Oberhummer spricht von der Gering
schätzung und Vernachlässigung der senkrechten Gliederung auf englischen Karten in dem Vortrag
„Über Hochgebirgskarten“, VII. Internat. Geogr.-Kongr. Berlin 1899. II. Berlin 1901, S. 91. —
Über ungeschickte und geradezu antiquarisch anmutende engl, und nordamerikanische Gelände
bilder vgl. E. Hammer in G. J. XXIV. Gotha 1902, S. 46.
2 Ich hatte die Auflagen von 1879 (Edinburgh und London) und von 1907 (London) zur Hand.
3 Auf A. K. Johnstons Wandkarte „Commercial and library chart of the world on Merca-
tors projection usw.“, London und Edinburgh 1902, sind die Alpen nicht anders wie das Riesen
gebirge dargestellt. — Ähnlichen groben Verstößen begegnen wir in Philips „New populär atlas“.
London s. a.
4 O. Koffmahn: Eine neue Karte von Großbritannien und Irland. P. M. 1902, S. 231, 232.