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Die Kartographie als Wissenschaft.
Firn und Eis in Weiß, wodurch die Umrisse der Gletscher wiederholt werden, kann
man sich in den Hauptsachen der Montblancgruppe zurecht finden. Aber durch den
Verzicht auf die Terraindarstellungshilfsmittel, wie Isohypsen, Schraffen und Farb-
stufen, wird die Karte von vornherein ihres Wertes als morphologische Karte entkleidet
und geht nicht über das Maß einer farbigen Skizze hinaus. Was nützt es, wenn Lucerna
seihst sagt 1 , daß es wünschenswert sei, daß die neuen topographischen Karten auf die
genetischen Leitlinien der Landschaft Kücksicht nehmen sollen, damit das durch die
heutige Geländedarstellung vollständig verschleierte Bild dem Kundigen sichtbar werde,
und gibt selbst nicht ein Beispiel, wie es gemacht werde. Bei ihm bleibt demnach grau
alle Theorie, oder sollte die beabsichtigte Karte an dem kartographischen Können ge
scheitert sein? Damals waren bereits die Karten von Gehne erschienen, sie hätten
ihn auf einen annehmbaren Weg bringen können, und Passarge hatte schon seine
wichtigen Darlegungen über die Schwierigkeit des Aufbaues geomorphologischer Karten
und den Weg zu einer zufriedenstellenden Darstellung kundgegeben. An diesen Ver
öffentlichungen durfte Lucerna nicht vorübergehen.
In der deutschen Geographenwelt ist man nach 1910 insbesondere an die Kon
struktion morphologischer Karten herangetreten, und zwar von namhaften Autoren,
wie Passarge, Behrmann, Gehne. Nicht unerwähnt sei, daß eine Art morpho
logischer Karte zuerst in Frankreich von N. Delesse gezeichnet worden ist, die „Carte
lithologique des mers de France etc.“ 1: 2000000, Paris 1869. Auf einer Schichtlinien
karte wird versucht, die vom Festland in das Meer geführten irdischen Niederschläge
nach Art und Abstammung zu bezeichnen und systematisch zu gruppieren und die
verschiedenen Fluß- und Meerbassins voneinander zu scheiden. Bis zu jener Zeit w T aren
noch auf keiner Karte die hydro-orographischen Grundelemente so korrekt uud ge
schmackvoll niedergelegt worden, daß selbst E. v. Sydow nicht ansteht zu erklären,
daß „seit langer Zeit die geographische Wissenschaft keinen so bedeutungsvollen Beitrag
zu ihrer Aufklärung erhalten hat.“ 1 2
Bei den morphologischen Karten muß man zwischen Übersichts- und Spezial
karten unterscheiden, diese in den Maßstäben 1: 25000 bis 1: 100000 und jene in den
kleinen Maßstäben 1: 200000 bis 1: 500000, wie die Morphologische Skizze des Harzes
von W. Behrmann in 1: 400000 3 oder die Morphologische Übersichtskarte von Nord-
Schleswig von P. Woldstedt in 1:300000. 4 Zu kleinern Maßstäben darf man bei
morphologischen Karten nicht vorschreiten, da die morphologischen Elemente bei
kleinen Maßstäben nicht mehr ordentlich klar auseinander gehalten werden können.
Die Übersichtskarten bedienen sich zumeist des Flächenkolorits, sie bieten karto
graphisch nichts Bemerkenswertes, dagegen sind die eigentlichen morphologischen
Spezialkarten auch kartographisch von hohem Interesse, da sie nach neuen karto
graphischen Ausdrucksmitteln streben. Wir besitzen solche Karten in den Maßstäben
1:50000 von Passarge, Gehne, 1:75000 von M. Kirchberger, 1:100000 von
E. Wand hoff. Margarete Kirchberger s Karte ist überschrieben Morphologische
Übersichtskarte des Vennabfalls 5 ; im Grunde genommen ist es eine Spezialkarte, auf
1 R. Lucerna, a. a. O., S. 183.
2 E. v. Sydow in P. M. 1870, S. 67.
3 W. Behrmann: Die Oberflächengestaltung des Harzes. Eine Morphologie des Gebirges.
Forsch, z. deutsch. Landes- und Volkskunde, hg. v. H. Hahn. XX. Stuttgart 1913, T. 2.
4 P. Woldstedt: Beiträge zur Morphologie von Nordschleswig. Diss. Göttingen 1913.
5 Margarete Kirchberger: Der Nordwestabfall des Rheinischen Schiefergebirges zwischen