Zur Geschichte der Kritik der Kartenprojektion.
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wenn wir von dem Meilenmaßstab absehen, der jedoch nur auf den wahren Grad der
Verkleinerung schließen läßt. Der Meilenmaßstab herrscht bis Ende des 18. Jahr
hunderts. Auf der Mercatorkarte verschwindet der Maßstab begreiflicherweise,
weil er mit den Breiten ständig wechselt, und in den Breitenminuten waren die je
weiligen Maßstäbe von selbst gegeben. Wie man auf ihnen Distanzmessungen vor
nimmt, zeigte N. Bellin. 1 Daß man bei all der Ausbildung und Einführung neuer
Projektionen im 18. Jahrhundert nicht die Bedeutung der Mercatorprojektion vergaß,
bezeugen die Aussprüche von Bouguer: „Les cartes réduites sont une des plus
belles inventions de l’esprit humain“ 1 2 und von Lalande: „Les cartes réduites sont
les plus utilës, qu’il y ait; on peut en regarder l’invention comme une des découvertes
importantes du 16. siècle.“ 3 Das sind herrliche Urteile über Mercator, erklärlich
teils aus dem Anwendungsbereich der Seekarte, teils aus den Zeitverhältnissen hin
sichtlich des Besitzes an brauchbaren umfassendem Projektionen, denn damals
kannte man kaum ein brauchbares Netz für die Gesamtdarstellung des Erdbildes,
deshalb das letzte Aufflackern des Apianischen Weltbildes durch Homann und
Lotter.
51. Die moderne Kartennetzreform. Verzerrungsgesetz. Indikatrix. Die Wurzeln
der modernen Kartenprojektionsreform liegen im 18. Jahrhundert, doch erst in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhalten diese Wurzeln Lebenskraft und
treiben und wachsen. Kurz nach der Mitte des vergangenen Jahrhunderts widmet
Germain 4 den Veränderungen der Größenverhältnisse in den verschiedensten Ent-
wurfsarten seine Aufmerksamkeit, indem er die von der Mitte des Entwurfs nach
dem Umfang fortschreitenden Änderungen der Linien-, Flächen- und Winkelverhält
nisse hervorhebt, um damit einen Wertmesser für die Brauchbarkeit der verschiedenen
Entwurfsarten zu gewinnen. Was er wollte, ist ihm nicht ganz gelungen. Einem andern
Franzosen, A. Tissot, blieb es Vorbehalten, durch die Anwendung einer neuen Art
von Analyse, des sogenannten Verzerrungsgesetzes, den Weg zu zeigen, der zur
mathematisch besten Projektion führt. Durch seine Untersuchungen, die in dem
Mémoire sur la représentation des surfaces et les projections des cartes géographiques,
Paris 1881, einen zusammenfassenden Abschluß fanden, hat Tissot der gesamten
Projektionslehre eine neue Basis geschaffen. Daß der Geograph aber noch andere
Forderungen als rein mathematische an den Kartenentwurf stellt, soll später noch
erörtert werden. Soviel steht aber fest, daß mit Tissot eine neue Epoche der Kritik
und des Studiums der Projektionslehre beginnt. Von Tissot hat uns E. Hammer
eine vorzügliche deutsche Übersetzung und Bearbeitung gegeben in den Netz
entwürfen geographischer Karten, Stuttgart 1887. Schon vor Hammer und gleich
1 N. Bellin: Essay d’une carte réduite contenant les parties connues du globe terrestre.
A la Haye chez Pierre de Hondt. 1750. (W. Wolkenbauer: Leitfaden zur Gescb. der Kartographie.
Breslau 1895, S. 54.)
2 P. Bouguer: Nouveau traité de la navigation. Paris 1753, S. 120.
3 J. J. Lalande: L’Astronomie. Paris 1792, §4070. (A. Breusing: Verebnen der Kugel
oberfläche. Leipzig 1892, S. 31.)
4 V. Germain: Traité des projections des cartes géographiques, représentation plane de la
sphère et du sphéroïde. Paris 1866. — An Germain lehnt sich H. Gretschels Lehrbuch der Karten
projektion, Weimar 1873, an. Auch mancherlei geschichtliche Notizen, wenn auch nicht frei von
Trrtümern, finden sich bei Gretschel.
Eckert, Kartenwisseaschaft. I.
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