Full text: Die Kartenwissenschaft (1)

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Das Kartenuetz. 
Die von Mercator angewandte Projektion kann man sowohl als eine „ver 
besserte (zweite) Ptolemäusprojektion“ wie als eine „abgeänderte Stab-Werner- 
sehe Projektion“ auffassen. Ich gebe der letztem Bezeichnung den Vorzug. Als 
selbständige Projektion ist sie mir nur noch einmal begegnet, und zwar bei H. Moll, 
von dem als einem Projektionskonstrukteur ich gleichfalls viel hatte. In seinem Atlas 
geographicus, London 1711—1714 1 , finden wir zunächst die abgeänderte Stab- 
Wernersche Projektion auf einer Karte von Europa, betitelt „A new map of Europa“, 
sodann auf der Karte von Rußland und andern Karten. Soweit ich nachgemessen 
habe, handelt es sich um die gleiche Projektionsart wie bei Mercator. Trotzdem 
ist nicht ausgeschlossen, daß Moll die Kegelprojektion doch schon kannte; die eng 
lischen Quellen hierüber sind noch nicht erschlossen. 
Nicht unberechtigt erscheint die Frage: warum hat Mercator die abgeänderte 
Stab-Werner sehe Projektion ausschließlich auf Karten kleinen Maßstabes an 
gewandt? Doch sicherlich nur deshalb, weil für Karten großen Maßstabes seine 
mechanischen Hilfsmittel versagten. War der Kreisnetzmittelpunkt im Nordpol, 
konnte man schon zu großen Maßstäben greifen, wie es Mercator auch getan hat, 
nicht aber so leicht bei der Kegelprojektion, was wohl möglich gewesen wäre, wenn 
man sie bereits erdacht und ihre mathematischen Gesetze gekannt hätte. Die 
Kegelprojektion als solche kannte das 16. Jahrhundert nicht, sie und ihre Abarten 
blieben dem 18. Jahrhundert Vorbehalten. 
Würde Mercator eine echte oder unechte Kegelprojektion im Sinn gehabt 
haben, könnten wir sicher sein, daß er darüber auch ein Wort verloren hätte; denn 
er spricht sich über die Netzkonstruktion seiner Karten an den verschiedensten Stellen 
aus, in Büchern sowohl wie auf den Karten selbst. An einen Vergleich zwischen ihm 
und Bonne ist nicht mehr zu denken. Ist der Schlußeffekt der Bonneschen und 
Mercatorschen Projektion derselbe, so ist doch die Genesis beider eine wesentlich 
verschiedene. Infolgedessen dürfen wir auch Gerhard Mercator und Rigobert 
Bonne nicht mehr in einem Atemzug nennen, und den von mir seiner Zeit vor 
geschlagenen Namen „Mercator-Bonnescher Entwurf“ 1 2 muß man wieder fallen lassen 
wie auch die Bezeichnung „Mercators flächentreu unecht konische Projektion.“ 3 
Eine weitere Folge der Untersuchung über die Mercatornetze ist, daß man auch 
nicht von dem Gebrauche einer Kegelprojektion, wie sie J. N. Delisle zum ersten 
Male auf dem Schnittkegel anwandte, sprechen darf. Für die Übereinstimmung mit 
Delisle wird öfters die Mercatorsche Karte von Europa herangezogen. 4 Mercator 
gab auf dieser Karte den intermediären Parallelen 40° und 60° die ihnen zugehörigen 
Abweitungen. Die zwischen den abweitungstreuen Breitenkreisen befindlichen 
Parallelen sind etwas verkleinert und die südlich und nördlich darüber hinaus liegenden 
1 Atlas geographicus: or a compleat System of geography, ancient and modern, containing 
what is of mort use in Blaeu, Varenius, Cellarius, Cluverius, Baudrand, Britus, Sanson 
etc. with the discoveries improvements of the beet modern authors with 100 new maps Üy H. Moll 
and many other cuts. 4 Bde. London 1711—1714. 
2 In dem von O. Krümmel und mir herausgegebenen Geographischen Praktikum befindet 
sich noch die Bezeichnung „Mercator-Bonnescher Entwurf“; also die einfache Bezeichnung „Bonne 
scher Entwurf“ ist die richtigere. 
3 Tissot-Hammer: Die Netzentwürfe geographischer Karten. Stuttgart 1887, S. 155. 
4 Es kann sich hier nur um die Europakarte in dem ersten Mercato ratlas von 1595 handeln, 
nicht um die große Europakarte von 1554, wie es Gretschel, auf Germain u. a. gestützt, in seinem 
Lehrbuch der Kartenprojektion, Weimar 1873, S. 138 annimmt.
	        
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