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Das Kartennetz.
Wort in den Sinn unserer Untersuchungen, so lautet es: Nicht allein die mathe
matische Formel, sondern vor allem das geographische Denken bestimmt
die Wahl der Projektion. Auch hat nur selten die mathematische Formel zu neuen
geographisch brauchbaren Projektionen geführt, wohl aber die von der äußern An
schauung angeregte geographische Intuition. Mercator hatte seine große Welt
karte lange vor der Entdeckung der Differentialgleichung gezeichnet.
Daß die Auswahl der Projektion für den Wert und die Verwendungsfähigkeit
der Karte von entscheidender Bedeutung ist, darüber besteht kein Zweifel mehr und
ist zur allgemeinen gültigen Grundregel geworden. Welches sind nun die Prinzipien,
die für die Wahl der Projektion als „maßgebend“ gelten? Soll mit Bücksicht auf
das abzubildende Gebiet die Projektion winkeltreu, flächentreu oder vermittelnd sein?
Wie sind die Hauptpunkte und Hauptlinien der Abbildung auszuwählen? Vor allem
ist der wichtigste maßgebende Punkt die Berechnung der Winkelverzerrung unter
einer Anzahl zur Wahl stehender Projektionen, und die Projektion mit der geringsten
durchschnittlichen Maximalwinkelverzerrung 2 co d oder auch mit dem geringsten
Maximalwert der Verzerrung 2eo max ist alsdann nach jetzt herrschender Ansicht
unweigerlich die geographisch beste. Hammer hat durch seine Arbeiten unstreitig
den Anstoß zu dieser heutigen rein mathematischen Auffassung gegeben, obwohl dabei
vergessen wird, daß er selbst einmal gesagt hat, daß auf flächentreuen Darstellungen
der ganzen Erdoberfläche hinsichtlich vieler Zwecke der physikalischen Geographie
die Vergleichung von Flächen viel wichtiger ist als die Herabdrückung der Winkel
und Längenverzerrungen. 1 Ist nun die Winkelverzerrung bei zwei oder mehreren
Projektionen gleich oder annähernd gleich, so gibt für die Auswahl alsdann die größere
oder geringere leichte Konstruktionsfähigkeit den Ausschlag. Die pol- und äquator
ständigen Projektionen sind fast durchgängig leichter zu berechnen und zu kon
struieren als die zwischenständigen bzw. schiefachsigen, und unter letztem erfordern
wiederum die Zylinderprojektionen die größte Mühe. Am meisten Bechenarbeit ver
ursachen die zwischenständigen Kegelprojektionen. Die azimutalen Entwürfe hin
wiederum machen das Gradnetz der Karte leicht verständlich, gewiß ein Vorzug dieser
Projektionsgmppe, zu dem noch kommt, daß sie hervorragend geeignet sind, der
Forderung Hammers nachzukommen, die Gradnetzentwürfe besser als es das alte
Herkommen überhaupt ermöglicht, der Form des abzubildenden Stückes der Erd
oberfläche anzupassen.
Damit erschöpfen sich heute im allgemeinen die maßgebenden Momente, die,
wie leicht zu erkennen, von mathematischen Gesichtspunkten aus diktiert sind. Uns
interessieren hier aber auch die ältern Bedingungen, die an ein Kartennetz gestellt
worden sind. Schon im 18. Jahrhundert faßt J. H. Lambert die damals herrschen
den Ansichten über die Eigenschaften des Kartenentwurfs in dem einleitenden Ab
schnitt zu seinen Anmerkungen und Zusätzen zur Entwertung der Land- und
Himmelscharten (1772) in folgender Weise zusammen: „Man gibt überhaupt mehrere
Bedingungen an, denen eine vollkommene Landcharte Genüge leisten soll. Sie soll
1) die Figur der Länder nicht verunstalten. 2) Die Größen der Länder sollen auf der
Charte ihre wahren Verhältnisse unter sich behalten. 8) Die Entfernungen jeder Oerter
von jeden andern sollen ebenfalls imVerhältniss der wahren Entfernungen seyn. 4) Was
1 E. Hammer: Über die Planisphäre von Aitow und verwandte Entwürfe, insbesondere
neue flächentreue ähnlicher Art. P. M. 1892, S. 85.