Full text: Die Kartenwissenschaft (1. Band)

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Das Kartennetz. 
Ratzel. 1 Die Lage von Kontinenten, Meeren, Ländern und Orten zu erkennen ist 
das Hauptziel der Karte. Außer der Lage wird und muß die moderne Karte sicher 
viel mehr noch gehen, ,,aber das ist eben bezeichnend für die große Bedeutung der 
geographischen Lage, daß die Karte allen andern Zwecken am besten gerecht wird, 
wenn sie die Lage gut wiedergibt“ (Ratzel). Sehen wir uns nach dieser Richtung 
hin die neuern Karten an; werden sie hinsichtlich des Zwecks, dem sie dienen wollen, 
der einwandfreien Lagenangabe immer gerecht? Nein! 
Als Breusing über das Verebnen der Kugeloberfläche nachdachte, da fiel ihm 
auch ein, wie schwer er sich von der in der Jugend gewonnenen verkehrten Vorstellung 
der Lage Grönlands, welche Insel die damaligen Karten von Europa in der Bonne 
schen Projektion in ostwestlicher Richtung anstatt nordsüdlicher Richtung brachte, 
befreit hat, und sehen wir uns die modernen Bilder von Europa an, in Lamberts 
flächentreuer Azimutalprojektion, verläuft darauf die Ostküste Grönlands nicht gleich 
falls wieder in ostwestlicher Richtung trotz der geringem Winkelverzerrung der 
Projektion; oder gar auf einer Karte Asiens in gleicher Projektion, ist darauf die 
skandinavische Halbinsel nicht ebenfalls ostwestlich gelagert und ragt Kap Deschnew, 
das in Wirklichkeit noch nicht den Polarkreis erreicht, nicht um 12 Breitengrade, 
um rund 1300 km, über die nördlichste Spitze Asiens, Kap Tscheljuskin, 77° 43°, 
nach Norden hinaus! Für Karten der Handatlanten und Atlanten gehobener Schulen, 
wo das Verständnis für Gradnetze bereits entwickelt sein soll, mag diese Verlagerung 
der Kontinente und Länder nicht so von Belang sein als für Wandkarten und Atlas- 
und Handkarten für mittlere und niedere Schulstufen. Und hier haben wir alle, die 
wir Schulatlanten herausgegeben haben, nicht recht getan, einmal aus Liebe zur 
flächentreuen Azimutalprojektion und andermal — vielleicht in der Hauptsache — 
aus schultechnischen Gründen, weil die flächentreue Azimutalprojektion gestattet, 
das Kartenbild ostwestlich einzuengen und nordsüdlich zu verlängern, und damit der 
praktischen Schulforderung entsprochen werden kann, den Atlas beim Gebrauche 
stets in gleicher Lage, die zudem den wenigsten Platz erfordert, zu halten. Die natür 
lichen (loxodromischen) Lagerungsverhältnisse müßten sich aber auf all diesen Karten 
viel besser widerspiegeln. Bei der azimutalen Projektion kann man sich ja einigermaßen 
helfen, indem man dem Kartenbilde ganz dem Wesen der Projektion entsprechend 
eine runde Abgrenzung gibt, eine Forderung, die Zöppritz, Breusing 1 2 , Hammer, 
Bludau bereits ausgesprochen haben, der E. Reclus auch schon praktisch nach 
gekommen war. Im Wesen der azimutalen Projektion liegt es, daß sie von der ortho- 
dromischen, der ,,'Weltrichtung“, die astronomischer Natur ist, beherrscht wird; 
1 Die Lage im Mittelpunkt des geographischen Unterrichts. S.-A. aus den Verhandl. des 
VII. Internat. Geographenkongresses in Berlin. Berlin 1900, S. 931. 
2 Für den Geographen besonders sind beachtenswert die Worte von A. Breusing im Ver 
ebnen usw., a. a. O., S. 28: „Jede nach einem strahligen Gradnetzentwurfe angefertigte Karte sollte 
als Radkarte eigentlich von einem Kreise als Reifen begrenzt sein und am Umringe die Kompaß 
richtung der Sehstrahlen aufweisen, um daran unmittelbar die gerade Richtung ablesen zu können, 
in der ein Ort von der Mitte der Karte aus gesehen wird. Es ist das ein von den Geographen 
bisher viel zu wenig beachteter und nach seiner Wichtigkeit gewürdigter Punkt.“ Der Forderung 
Breusings glaube ich bei der Zeichnung der Isochronenkarte der Erde (P. M. 1909, Taf. 25) voll 
und ganz entsprochen zu haben. Allerdings darf man diese Forderung nicht überspannen, denn 
konsequenterweise müßte alsdann ein konischer Entwurf auch als Ringsektor (auch schiefachsig) ab 
gegrenzt werden und ebenso das den schiefachsigen zylindrischen Entwurf abgrenzende Parallelo 
gramm schief auf das Blatt zu liegen kommen.
	        
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