Full text: Die Kartenwissenschaft (1)

162 
Das Kartennetz. 
Belgrad sich befindet, dagegen das als Halbasien zu wertende russische Reich mit 
seiner westlichen Hauptstadt noch um anderthalb Grad östlicher als die Sultans 
residenz am Goldenen Horn, mit seiner östlichen dagegen, dem „heiligen Mütterchen“ 
Moskau, sich über die Länge von Damaskus, also dem reinen unverfälschten Orient 
um einen Grad hinaus erstreckt, während die im Osten folgenden Städte, wie Kasan, 
samt dem Wolgalauf abwärts bereits einen Längengrad besitzen, wie ihn das west 
liche Persien hat. Ist man sich bewußt, daß Liverpool östlicher als Edinburg liegt ? 
Wie oft wird übersehen, daß Südamerika gegenüber Nordamerika um die ganze Breite 
der Vereinigten Staaten von Amerika nach Osten verschoben ist und die Länge von 
Pittsburg im Osten Nordamerikas die gleiche von Guayaquil, also des äußersten 
Westens von Südamerika ist. Diese wenigen Beispiele mögen genügen, sich der 
großen Bedeutung der gegenseitigen Lage bewußt zu werden. 
Das natürliche Arrangement der Gradnetzlinien darf nicht einer eleganten 
mathematischen Formel zuliebe verschoben oder gar vernachlässigt werden, sondern 
ist im Hinblick auf die geographischen Eigentümlichkeiten der Lageverhältnisse der 
Netzkonstruktion tunlichst zu berücksichtigen. Wir verkennen nicht, daß dies leichter 
gesagt als ausgeführt ist, aber mit dem guten Willen zum Bessern werden auch hier 
annehmbare Wege gefunden werden. Das Suchen des geographisch befriedigenden 
Ziels wird erleichtert, wenn eben immer wieder von den tatsächlichen und nicht von 
den konstruierten Eigenschaften des Netzes ausgegangen wird. Eo ipso wird auch 
hier die Erfüllung des einen die Ausschließung des andern zur Folge haben; immerhin 
werden doch verschiedene Kompromisse in Hinsicht auf den Zweck der Karte 
vielerlei Brauchbares ergeben. 
Aus den Grundtatsachen des Erdkugelnetzes erwachsen für den Geographen 
die Grundvorstellungen irdischer Lagen. Die Grundtatsachen sind in der Richtung 
und Länge, der gegenseitigen Entfernung und Rechtschnittigkeit der Gradnetzlinien 
gegeben. Die Parallelkreise sind bekanntlich in allen korrespondierenden Punkten, 
den Meridianschnittpunkten, gleichweit voneinander, infolgedessen auch gleichweit 
von dem Äquator entfernt. Werden die Parallelkreise in die Ebene abgewickelt, ge 
streckt, so ergeben sie parallele Linien, die auch am besten den ursprünglichen Eigen 
schaften der Parallelkreise entsprechen müssen. Erst in zweiter Hinsicht würde eine 
Projektion der Parallelen in konzentrischen Kreisen in Betracht kommen und zuletzt 
eine solche in Ellipsen und andern Kurven, bei denen die Parallelität geschwunden ist. 
Bezüglich des geographischen Wertes lassen die gestreckten Parallelen 
andere projizierte stellvertretende Linienführungen weit hinter sich. Bei Projek 
tionen des gesamten Erdbildes kommt dies hauptsächlich zum Bewußtsein. 1 Die 
Erdkartennetze von Mollweide 2 , Hammer und mir sind flächentreu. Alle drei 
weisen an dem Rand erhebliche Verzerrungen auf, die aber bei Mollweide und mir 
am wenigsten störend empfunden werden. Dazu haben beide die zu Geraden aus 
gestreckten Parallelkreise, Hammer dagegen gekrümmte und nicht parallel ver 
laufende Breitenkreise, welcher Nachteil auch nicht durch die Bemühung, ein 
winkeltreueres Netz (bezüglich des geringsten Maximalwertes der Verzerrung 2co max ) 
als Mollweide zu haben, ausgeglichen wird. Die zu Geraden ausgestreckten und 
tatsächlich parallelen Parallelkreise sind für physisch-, bio- und wirtschaftsgeographische 
1 Vgl. M. Eckert: Neue Entwürfe für Erdkarten. P. M. 1906, Taf. 8. 
2 In v. Zachs Monatl. Corresp. XII. 1805, S. 160 gibt C. B. Mollweide die Grundzüge 
seiner fläclientreuen Erddarstellung.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.