Full text: Die Kartenwissenschaft (1)

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Die Kartenaufnahme. 
sicht verschließen, daß die Militärtopographie den Höhepunkt ihres Wirkens über 
schritten hat. Sicherlich kann man mit J. Partsch das kartographische Erbe der 
Napoleonischen Zeit, die Periode der von den Generalstäben bearbeiteten topo 
graphischen Karten als ,,die fruchtbarste im ganzen Gebiet der Kartographie“ be 
zeichnen; unstreitig hat die Militärtopographie ihre große Bedeutung gehabt und 
Mustergültiges von dauerndem Werte geschaffen, wie die Bestimmung und Fest 
legung eines trigonometrischen Punktnetzes, eines Normalhöhenpunktes und eines 
ausgedehnten Präzisionsnivellements. Jede historisch kartographische Betrachtung 
wird dies gebührend hervorzuheben wissen. Aber das rollende Rad der Zeit läßt sich 
nicht in die Speichen greifen, und größere Aufgaben hat die Topographie zu erfüllen 
als lediglich von militärischem Gesichtspunkt aus geleitete Landesaufnahmen. Die 
Ansicht des Oberstleutnants H. S. L. Winterbotham finde ich antiquiert, die er 
mit den Worten bekundet: „Bei der Wichtigkeit, die einer guten topographischen 
Karte für die industrielle Entwicklung eines Landes beizumessen ist, wird es doch 
der Soldat mehr wie der Techniker sein, der die Verantwortung für die topographischen 
Kartenwerke der zivilisierten Welt zu tragen hat.“ 1 Die „topographia militans“ 
muß zu einer „topographia triumphans et universalis“ werden, was sie nur durch das 
hochentwickelte moderne Vermessungswesen, das außerhalb der militärischen Obrigkeit 
stellt, werden kann. Daß dabei die Unterstützung von militärischer Seite erwünscht 
ist, braucht nicht weiter betont zu werden; nur soll sich deren Arbeit den großen 
umfassendem Aufgaben einer modernen Landesaufnahme, d. h. dem modernen Ver 
messungswesen, unterordnen. 
Alle Vermessungsinstitute eines Staates müssen, wie ich oben bereits durch- 
blicken ließ, unter einheitlicher Leitung stehen, schon zur Vermeidung von Doppel 
arbeiten, die im Vermessungswesen anerkanntermaßen recht kostspielig sind. 1 2 Das 
Vermessungs wesen krankt fast bei jedem höher kultivierten Staat daran, daß seine 
einzelnen Arbeitsrichtungen auf verschiedene Behörden verzettelt sind — ein Ab 
klatsch alter staatlicher Unbeholfenheit oder des Beharrungsvermögens des Staats 
organismus —; die neuen Staaten müssen auch im Vermessungswesen einheitlicher 
und konzentrierter denken und handeln. Das Militärkartenwesen und damit die 
bis jetzt üblichen Landesaufnahmen sind nur ein Teil des allgemeinen Vermessungs 
wesens. Jene müssen diesem eingegliedert sein und nicht umgekehrt; denn das Ver 
messungswesen hat, abgesehen von den großen Aufnahmearbeiten, neue Vermessungs 
methoden und neue Meß- und verwandte Instrumente zu prüfen und zu verwerten, 
daneben das kartenwissenschaftliche Studium des eigenen Landes zu fördern, also 
eine große Menge kartographischer und wissenschaftlicher Aufgaben zu erfüllen und 
— zuletzt nicht zu vergessen — Regeln und Richtschnur für das private Vermessungs 
wesen zu geben. Das vermag nur eine große, staatlich organisierte Einrichtung; 
sie allein kann den vielseitigen, auf gleicher Basis beruhenden Wünschen des bürger 
lichen, wissenschaftlichen und auch militärischen Lebens gerecht werden. Die Worte 
W. Jordans, mit denen er am 8. Juni 1895 seinen berühmten Vortrag über die deutschen 
1 Winterbotham:Britisch Survey on theWestern Front. Geogr. Journ. Vol.LIII. 1919, S.254. 
2 Der Betrag allein, den man hätte in Massachusetts ersparen können, wenn beim Beginn des 
Eisenbahnbaues eine gute großmaßstabige topographische Aufnahme mit Höhenkurven vorhanden 
gewesen wäre, wird auf 20 Mill. Doll., im Staate New York gar auf 40 Mill. Doll, geschätzt. Vgl. J. L. 
van Ornum: Topographical surveys, their methods and value. Bull. University wisconsin. Madison, 
Wisc. 1896, Engineering series, I. S. 331—369.
	        
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