Die Genauigkeit der topographischen Karte.
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Koordinatensysteme schloß 1 , die aber von maßgebenden Kreisen offenbar vergessen
sind, seien zum Schluß noch in Erinnerung gebracht: „Nicht nur in dem krausen
Ge wirre der zirka 50 deutschen Koordinatensysteme, sondern auch m manchen andern
damit verwandten Dingen ist ein Mangel an System und eine Trennung zwischen
den Staaten und Behörden noch so schroff, wie zu Zeiten des Frankfurter Bundes
tages vor 1866. Es fehlt eine geodätische Zentralbehörde des Deutschen Reiches!“
V. Die Genauigkeit der topographischen Karte.
97. Vorbedingung zur Beurteilung der Genauigkeit. Über Geschichte und Hand
habung der Karten weiß man in geographischen Kreisen hinreichend Bescheid, nicht
aber über Kartenkonstruktion und Kartenaufnahme. Es genügt nicht, im Zimmer
auf dem Zeichenblatt die Linien und Kurven zu berechnen und zu legen, die zu einem
Kartenbild notwendig sind, vielmehr muß im Gelände eine tüchtige Kenntnis in der
Aufnahme und Entstehung der Karte erworben werden. Erst dann wird der Geo
graph sowohl wie der Kartograph zur richtigen Beurteilung des Wertes und der Ge
nauigkeit der kartographischen Bausteine und Zeichen gelangen. Wir kennen viele
Geographen, Reisende und Kartographen des In- und Auslandes, die sich als Topo
graphen bewährt haben, wenn auch weniger in dem strengen Sinne eines Topographen
der Landesaufnahme; unter den vielen seien nur genannt Sven Hedin, A. Philippson,
K. Sapper, K. Hassert, W. Yolz, K. Tafel, Fr. Jäger, C. Uhlig, S. Passarge, P. Spri-
gade, M. Moisel, vor allem C. Vogel. Letzterer hatte sich bei seiner Karte des Thüringer
Waldes in 1 : 60000 (Gotha 1862) nicht mit mechanischer Reduktion oder Zusammen
stellung anderer Karten begnügt, sondern als tüchtiger Topograph der kurhessischen
Schule selbst rekognosziert und aufgenommen und so eine korrekte, mit künst
lerischem Fleiß durchgearbeitete Wiedergabe des Thüringer Landes geschaffen. Gerade
diese Vorarbeiten und topographische Fertigkeiten und Erfahrungen hatten ihn
befähigt, späterhin die meistervolle Karte des Deutschen Reiches in 1 : 500000 heraus
zugeben.
98. Der erschütterte Glaube au die Unfehlbarkeit offizieller Karten. Der Glaube
an die Unfehlbarkeit der Generalstabskarten war allgemein verbreitet, selbst die
Geographen waren allenthalben davon befangen. Die Technik, insonderheit die
Wasserbau- und Kulturtechnik, hatte ihn schon um die Wende des Jahrhunderts
stark erschüttert, noch mehr der Weltkrieg 1914—1918. Die Meßtischblätter 1 : 25000
hatten die Aufgabe zu erfüllen, allen Anforderungen Genüge zu leisten, die von staat
licher wie privater Seite billigerweise innerhalb der Grenzen, die durch den Ver
jüngungsmaßstab 1 :25000 bedingt sind, gestellt werden können. Diese Aufgabe
haben die Meßtischblätter sicher vor 1900 vollkommen erfüllt. Aber im Laufe des
stärker und schärfer sich entwickelnden Wirtschaftslebens und -kampfes merkte
man die Unzulänglichkeit vieler Meßtischblätter, namentlich der zuerst aufgenommenen
und herausgegebenen. Unrichtigkeiten der preußischen Meßtischblätter bis zu 50 m
im horizontalen und vertikalen Sinne zeigten sich z. B. bei der braunschweigischen
1 W. Jordans Vortrag i. d. Z. f. Verni. XXIV. 1895, 8. 337ff. — In der „geodätischen Zentral
behörde“ schwebte Jordan eine weit umfassendere Organisation vor als in dem „Geodätisch. Institut
u. Zentralbureau der Internat. Erdmessung“ in Potsdam.