Allgemein Methodisches und Kritisches.
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forscher, der über seine eigene Disziplin nachdenkt, sieht sich dazu geführt, sie auch in
ihrem Verhältnis zu den übrigen von allgemeinem! Standpunkt aus zu betrachten. 1
W. Wundt hat in seinem bekannten System der Philosophie die Einzelwissenschaften
scharfsinnig gegliedert und systematisch geordnet. Den Eormenwissenschaften, ins
besondere der allgemeinen und speziellen Mathematik, stehen die realen Wissenschaften
gegenüber, die sich schon seit älterer Zeit in bezug auf die Hilfsmittel, Methoden und
Prinzipien der Untersuchung in Natur- und Geisteswissenschaften scheiden. Im großen
Ganzen kommt es auf eine Zweiteilung hinaus. Schon A. Comte unterschied abstrakte
und konkrete Wissenschaften.
Die Geographie ist den Naturwissenschaften zugeteilt, und zwar der Lehre von
den Naturgegenständen. Wie schon an anderer Stelle von mir 1 2 und auch von andern,
wie Kirchhoff, Bichthofen, Batzel, Hettner, Schlüter, nachgewiesen wurde,
paßt für viele der neuen Zweige der Geographie, so für Anthropogeographie oder die Kultur
geographie, und somit für die Geographie im ganzen nicht mehr die philosophisch syste
matische Zwangsjacke, selbst wenn wir an Bubrizierungen von Windelband,Bickert,
Münsterberg, Lamprecht und die mehr weitsichtigen von Stumpf denken. Auch
das Comte-Ostwaldsche Begriffssystem, nach dem alle Wissenschaften in die drei
Gebiete der Ordnungs-, der Arbeits- und der Lebenswissenschaften zerfallen, kann uns
keine befriedigende Lösung geben. Die ersten enthalten Logik, Mathematik und Geo
metrie, die zweiten Physik und Chemie, die dritten Physiologie, Psychologie und Sozio
logie oder Kulturwissenschaft. Es gibt jetzt schon zu viele Einzelwissenschaften, die
gleichweit nach der geisteswissenschaftlichen wie nach der naturwissenschaftlichen
Seite hin inklinieren, und gar bei der Kartographie werden, wie kaum bei einem andern
geographischen Zweige viele Wurzeln von der Mathematik genährt. Mit Hettner wird
man sich einverstanden erklären, der die Geographie kurzweg eine konkrete Wissen
schaft, die es auf unmittelbare Erkenntnis der Wirklichkeit abgesehen hat, nennt. Bis
zu einem gewissen Grade, den wir später noch modifizieren werden, stimmt dies auch
für die Kartographie, die vornehme Schwester und unentbehrliche Gehilfin der Geo
graphie. Außerdem teilt die Kartographie mit der Geographie das Schicksal, ein schier
unübersehbares Feld von Aufgaben zu bieten und damit eine Wissenschaft von weitesten
Grenzen zu sein, die wohl durch einen, an die dingliche Ausfüllung des Erdraums ge
bundenen Gedanken, nicht aber durch eine einheitliche Forschungsmethode gebunden
wird. Was alles übersetzen wir in die kartographischen Linien und Zeichen! Neben
den Formen der Oberfläche, den Siedlungen und Verkehrswegen die Wärme, die Tempe
ratur, den Sonnenschein, den Niederschlag, die Ernte, die industrielle Betätigung, die
Volks- und Tierdichte, den Schädelindex, die Körpergröße, die Geburt, die Krankheit,
den Tod und unendlich vieles andre mehr. Es grenzt schier ans Wunderbare, wie sich
alles Sichtbare auf dem Erdball, selbst die verschiedensten geistigen Phänomene der
kartographischen Darstellung und Beherrschung beugen. Die Grenzen dieser Herr
schaft untersucht die kartenwissenschaftliche Analyse. Das ist eine ebenso dankbare
wie interessante Aufgabe, die aber zugleich einen Vorgeschmack von den Schwierigkeiten
gibt, die die Kartographie zu bewältigen hat, aber auch von dem Unvermögen, der
Kartographie im Gebäude der Wissenschaften eine ganz bestimmte Stelle zuzu weisen.
1 C. Stumpf: Zur Einteilung der Wissenschaften. Abk. d. K. preuß. Akad. d. Wiss. Berlin 1900.
2 M. Eckert: Das Verhältnis der Handelsgeographie zur Anthropogeogx-aphie. Ein Beitrag
zur Handelsgeographie als Wissenschaft. Leipzig 1902, S. 6. — Zur Methodik der Anthropogeographie.
1\ M. 1909, S. 71, 72.