Full text: Die Kartenwissenschaft (1. Band)

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Die Kartographie als Wissenschaft. 
Wir halten es nicht für angebracht, den Spekulationen nach dieser Richtung 
zu weit nachzugehen. Nachfolgende Tatsachen werden mehr sprechen und mehr be 
weisen als subtile philosophische Erörterungen über Methode und Aufgaben, die man 
gewöhnlich gern der Domäne des altern Wissenschaftlers überläßt, was natürlich ist, 
da er auf eine lange Reihe von Forschungen und Erfahrungen zurückblicken kann. 
Zuletzt ist jeder wirklich großer Forscher immer auch Philosoph. 1 Ganz können wir 
auf die Erörterungen der Methoden nicht verzichten, wenn wir auch einsehen, daß es 
nicht ratsam erscheint, von ihnen auszugehen, da ja die tiefgreifenden Unterschiede 
der Methoden zuletzt in den Unterschieden der Gegenstände wurzelt; indessen halten 
wir sie zur Einführung in die gesamte Materie für geeignet, sofern ihnen nur die Gegen 
stände bzw. die Forschungsgebiete folgen, an denen und durch die die einzelnen Me 
thoden erprobt werden. 
A. Hettner tadelt die Auffassung vieler und auch tüchtiger Forscher, nach der 
die methodischen Betrachtungen über die Aufgaben und die Grenzen der Einzel 
wissenschaften als unnütz bezeichnet wird, als „einseitig und kurzsichtig, für ein Über 
bleibsel aus jener Zeit, in der der philosophische Geist ganz abgestorben war und die 
wissenschaftliche Roharbeit allein, womöglich nur für praktische Zwecke, wertgeschätzt 
wurde“. Etwas anders klingen die Worte des für die Geographie leider zu früh ver 
storbenen H. Schurz: „Im allgemeinen ist es ein charakteristisches Zeichen des Alterns 
einer Wissenschaft, wenn mehr über sie als in ihr gearbeitet wird, wenn man mehr den 
Autoritäten als den eigenen frischen Untersuchungen vertraut, oder wenn man mit 
ängstlicher Sorgfalt die Grenzen des Forschungsgebietes gegen andere Wissenschaften 
abzirkelt. In Wahrheit gibt es ja nur eine Wissenschaft, die Grenze solchen Forschens 
aber suche jeder, wo es ihm nützlich erscheint, ohne sie andern aufzudrängen.“ Auf den 
ersten Blick wirken beide Aussprüche gegensätzlich, indessen ist der Gegensatz nur 
ein scheinbarer, entstanden aus einer Schlußfolgerung, die den gleichen Gegenstand 
unter verschiedenem Einfallswinkel belichtet. Hettner will durch seine philosophischen 
und methodischen Untersuchungen den Blick für das Eigentümliche der Geographie 1 2 
und Kartographie 3 schärfen und erweitern, denkt aber durchaus nicht an einen Purismus 
und läßt den teils zeitweiligen, teils dauernden Verflechtungen der Geographie und 
Kartographie mit andern Wissenschaftsgebieten ihr Recht. Schurz legt auf die 
letztere Erscheinung mehr das Schwergewicht, da man, um den charakteristischen 
Unterschied einer Disziplin klarzulegen, mit einem Einteilungsprinzip nicht auszu 
kommen vermag, und nur zu oft mehrere sich kreuzende Untersuchungsreihen benutzt 
werden müssen. Es ist eine auffallende Tatsache, daß sich trotz zunehmender Arbeits 
teilung die wissenschaftlichen Forschungen und Untersuchungen auf den verschiedensten 
Gebieten immer mehr verflechten. Auch die Kartographie zeigt so recht, wie sie in die 
wissenschaftlichen Forschungen der einzelnen geographischen und verwandten Zweige 
ein- und übergreift, ganz gleich, ob sie naturwissenschaftlich oder geisteswissenschaftlich 
geartet sind. Was verschlägt es, wenn sie sogar mit Wissenschaftszweigen, die in ihrem 
Gegenstand wenig miteinander zu tun haben, „auf lange Strecken einen unteilbaren 
Körper“ bildet. An der Selbständigkeit der Kartographie als Wissenschaft vermag auch 
dies nicht zu rütteln. 
1 M. Schlick: Allgemeine Erkenntnis lehre. Berlin 1918, S. VIII. 
2 A. Hettner: Das Wesen und die Methoden der Geographie. G. Z. 1905, S. 545if. 
3 A. Hettner: Die Eigenschaften und Methoden der kartographischen Darstellung. G. Z. 
1910, S. 12 ff.
	        
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