Full text: Die Kartenwissenschaft (1. Band)

Allgemein Methodisches und Kritisches. 
9 
4. Beobachtung und Messung. Jedes Kartenbild, ganz gleich, ob es mehr reale 
Gegenstände oder durch geistige Abstraktionen gewonnene Ergebnisse darstellt, regi 
striert einen Tatsachenbestand oder — mit andern Worten — verfährt chorographisch. 
Aber der theoretischen Kartographie an sich ist wie der Geographie eine chorologische 
Seite eigen, die dynamisch ist, indem sie Ursache und Wirkung im Kartenbild unter 
sucht. In bezug darauf können wir die theoretische Kartographie definieren als die 
chorologische Wissenschaft der Abbildung und physisch-geographischer und anthropo- 
geographischer Erscheinungen der Erdoberfläche. Schon E. v. Rieht ho fen bezeichnete 
unsere Zeit als diejenige der chorologischen Forschung. 1 
Die Tatsachen, die wir in das Kartenbild einordnen und deren Ursachen und 
Wirkungen hinwiederum aus ihm zu uns sprechen, müssen irgendwo und irgendwie 
beobachtet und gegebenenfalls nach Maß festgelegt sein. So sind auch in der Karto 
graphie Messung und Beobachtung, wie in der Geographie und den Naturwissenschaften 
überhaupt, die Mittel, mit deren Hilfe unsere Wissenschaft das von ihr zu verarbeitende 
Material gewinnt. 
Ohne Beobachtung keine geographische, keine kartographische Wissenschaft. Auf 
die Wichtigkeit der Beobachtung haben unsere bedeutendsten Geographen ausdrück 
lich hingewiesen, wie F. v. Richthofen, A. Penck, E. v. Drygalski, S. Passarge, 
W. M. Davis, E. de Martonne, A. Hettner, A. Philippson, K. Sapper u. a. m. 
Penck macht, wie bereits hervorgehoben wurde, die „Beobachtung als Grundlage der 
Geographie“ zum Gegenstand einer eingehendem Erörterung, wobei auch die Karto 
graphie nicht leer ausgeht. Passarges morphologische Untersuchungen und Atlanten 1 2 
werden auf viele Jahre hinaus für die wissenschaftliche Kartographie eine unerschöpf 
liche Fundgrube reichster Anregungen sein; ist doch unter allen lebenden Geographen 
Passarge einer derjenigen, der am meisten dafür sorgt, daß unser geographisches 
Sehen nicht verkümmert. 
Das topographische Kartenbild ist die Summe der Beobachtungen über all die 
Gegenstände, die den irdischen Raum ausfüllen. Je nach dem Maßstab der Darstellung 
wird das Auge des Beobachters geschärft, Nebensächliches von Hauptsächlichem zu 
unterscheiden. Nichts ist geeigneter, die Oberflächenformen und die dingliche Aus 
füllung des Raumes besser zu beobachten als die kartographische, d. h. die topographische 
Aufnahme dieser Formen. Nur zu leicht gleitet das Auge bei bloßer Beobachtung über 
die Formen dahin, die dem aufnehmenden Beobachter nicht entgehen. So wird die 
Geländeaufnahme zu einer der besten Schule der Beobachtung, eine Tatsache, auf die 
meiner Meinung nach von geographischer Seite aus noch viel zu wenig Gewicht ge 
legt wird. 
Ist das Experiment von Natur aus in der Geographie im allgemeinen ausgeschlossen, 
gewinnt es in der Kartographie unter Umständen Einfluß. Im Laboratorium ist es mög 
lich, die Intensität schräg beleuchteter Flächen experimentell zu bestimmen. Das 
optische Prinzip kann in der Generalisierung von Einfluß werden, insofern das Be 
obachten eines Kartenbildes aus der Ferne eine Handhabe geben kann, welche Einzel 
heiten auf Kosten kleinerer Maßstäbe zu verschwinden haben. Durch das optische 
Prinzip wird schließlich ein wesentlicher Unterschied zwischen Hand- und Wandkarte 
bestimmt, ferner für einige Kartenarten Gebrauch und Duktus der Schrift, aber auch 
1 F. v. Richthofen: Aufgaben und Methoden der heutigen Geographie. Leipzig 1883, S. 38. 
2 Unter den zahlreichen Schriften S. Passarges seien hervorgehoben: Physiologische Mor 
phologie. Hamburg 1912. — Morphologischer Atlas. I. Hamburg 1914.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.