Der Maßstab.
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gebracht hat. 1 Vielleicht helfen meine Vorschläge die Frage klären. Bleiben wir
gleich bei der zuletzt erörterten Maßstabbezeichnung, dem „natürlichen Maßstab“,
stehen. Bedauerlich wäre es, wenn diese Benennung in die geographische und karto
graphische Literatur weiter eindringen würde. Damit steht die Geographie bzw.
Kartographie direkt im Gegensatz zur Technik, desgleichen zur Taktik. Pläne oder
Zeichnungen sind im natürlichen Maßstab ausgeführt, wenn auf ihnen die Gegen
stände in ihrer natürlichen Größe, also in 1:1, wiedergegeben sind. 1 2 Es ist ein Ding
der Unmöglichkeit, daß Karten in natürlichem Maßstab ausgeführt werden können,
weil sie „ihrer Natur nach“ stets im Verjüngungsverhältnis dargestellt sind. Darum
ist die beregte Ausdrucksweise für den Kartenmaßstab nicht bloß unlogisch, sondern
sogar irrig. Und als A. Supan eine Resolution über „das Reduktionsverhältnis in
der üblichen Bruchform 1 : X“ auf dem VII. Internationalen Geographenkongreß
(Berlin 1899) herbeizuführen suchte, hütete er sich, vom „natürlichen Maßstab“ zu
sprechen. H. Wagner macht selbst darauf aufmerksam, daß der „natürliche Maß
stab“ bei ältern Projektionstheoretikern nicht erwähnt ist, wie bei Tobias Mayr,
Ed.' Schmidt, Lambrecht, Bode, Littrow, Germain, Gretschel, Fiorini, Möllinger,
Hertz, Struve, Breusing, Zöppritz, Wenz u. a. m„ aber auch bei neuem fehlt er,
wie bei E. Hammer, Zöppritz-Bludau, Behrmann, Groll, Frischauf. Teilweise hängt
dies mit den rein projektionstheoretischen Betrachtungen zusammen. — Statt „natür
licher Maßstab“ müßte es durchweg verjüngter Maßstab 3 oder Verjüngungs-
maßstab oder kurz Verjüngung heißen oder, was gleichfalls nicht mißzuverstehen
wäre, Maßstab Verhältnis oder kurzweg Maßstab, wie man schon meistens der
Bequemlichkeit halber sagt. Er ist tatsächlich nicht Mißverständnissen ausgesetzt.
Auf den Karten heißt es darum auch nur „Maßstab“ (genauer müßte es „Längen
maßstab“ heißen); auf den englischen Karten „scale“, z. B. auf denen von J. G. Bar
tholome w.
Klarheit herrscht nicht zwischen den Begriffen „mittlerer“ und,,Mittelpunkt-
maßstab“. Gegen letztem Ausdruck wendet sich W. Behrmann, indem er darauf
hinweist 4 , daß nur bei der- Azimutalprojektion Lamberts, den Abbildungen Hammers
und Sanson-Flamsteeds und dem flächentreuen Zylinderentwurf mit längentreuem
Äquator die Verzerrung im Kartenmittelpunkt gleich Null, während sie bei allen
andern Projektionen von 0 verschieden ist. Dieser Einwand ist, geometrisch gedacht,
richtig und wird verständlich, wenn man die Behrmannschen Projektionsskizzen
mit den Linien gleicher Winkelverzerrung überschaut, jedoch hat Behrmann den
Nachweis nicht für alle hierhergehörigen Erdkartennetze gebracht, und dann ist der
Mittelpunktmaßstab, wie H. Wagner den Ausführungen Behrmanns entgegenhält,
1 So iin Juni lieft von P. M. 1914, wo H. Wagner das Irrtümliche der Maßstabbezeichnung
auf den Erdkarten in mittabstandstreuer Azimutalprojektion von Rudolph und Szirtes darlegt.
2 E. Rothpletz: Die Terrainkunde. Aarau 1885, S. 4.
3 Die Bezeichnung „verjüngter Maßstab'‘ kommt übrigens schon in Grimmelshausens
„Simplicissimus“ vor, wo es S. 423 (Ausg. A. Langen, München 1909. V. Buch. XII. Kapitel) bei
der Ausmessung des Mummelsees heißt: „Ich nahm oder maß die Länge und Breite des Wassers ver
mittelst der Geometriae, weil gar zu beschwerlich war, um den See zu gehen und denselben mit Schritten
lind Schuhen zu messen, und brachte seine Beschaffenheit vermittelst des verjüngten Maßstabs
in mein Schreibtäfelein.“
4 W. Behrmann: Zur Kritik der flächentreuen Projektionen der ganzen Erde und einer Halb
kugel. Sitz.-B. d. k. Bayr. Akad. d. Wiss. Math.-pliysik. Kl. 1909. 13. Abhdlg. München 1909.