- Orientieren der Karte.
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Karte ist das entsetzlichste Zerrbild einer Weltkarte, das man sich denken kann.“
Der Zeichner würfelt alles durcheinander, die Sonne läßt er links aufgehen, das Para
dies hingegen befindet sich oben in der Karte, Palästina wird in das Innere von Afrika,
Unteritahen nach Asien versetzt. Von den wichtigem Karten mit südlicher Orien
tierung melden sich Edrisis Tabula rotunda vom Jahre 1154 (Paris) und das Welt
bild von Fra Mauro, das 1457—1459 entstand (Venedig). S. Günther will in letzterer
Karte einen entschiedenen Einfluß des Ptolemäus erkennen, ohne das näher zu be
gründen. 1 Ich kann keinen entdecken. Sicher hätte Fra Mauro dann auch nördlich
orientiert. Wohl hat er die ihm zugänglichen Reisebeschreibungen kritisch bearbeitet
und mit Zuhilfenahme der damaligen Seekarten (Portulankarten) die Umrisse der
Länder mit teilweise überraschender Genauigkeit festgelegt. Seine Karte ist etwa
20 Jahre älter als die ersten gedruckten florentinischen Ptolemäusausgaben (1475
bis 1478), was jedoch nicht ausschließt, daß der Ptolemäus in Humanistenkreisen
früher bekannt war.
Die südliche Orientierung ist durch arabische Karten inauguriert worden. 1 2
S. Günther glaubt, sie auf die arabisch-hebräische Schreibweise, die der unsern dia
metral entgegengesetzt ist, zurückführen zu müssen, da ja auch jene Völker „ein
Kartenbild ganz anders betrachteten wie wir dies tun“. 3 Ob südlich oder nördlich
orientiert, für die Betrachtung der damaligen Kartenbilder wie für die Schreibweise
war das ganz gleich. Jedoch ist nicht ausgeschlossen, daß die römische Lokalsitte
der südlichen Kartenorientierung Vorschub geleistet hat. Der kapitolinische Stadt
plan in Rom war südlich orientiert, vom Süden aus wurden die Provinzen gezählt
und eingeschätzt. Pomponius Mela spricht von der Ostküste Italiens als von der
linken und der Westküste als von der rechten Seite Italiens. Für die südliche Orien
tierung der Karten lassen sich aus dem Mittelalter nicht annähernd so viel Belege
wie für die östliche Orientierung finden. Die südliche Orientierung gehört auch
späterhin zu den Ausnahmefällen, wennschon sie dem Kartenzeichner des Abend
landes zusagender als ein Orientieren nach einer andern Himmelsrichtung war. Nach
S zu lag Rom, lagen die sonnigen Gefilde des Südens, die Sehnsucht des Nordländers.
Das Heilige Land und die Gegend, wo einst das Paradies war, links oben auf der
Karte zu haben, befremdete den Kartenbenutzer nicht und dem Kartenzeichner lag
dies bei südlicher Orientierung recht bequem. Doch herrschte im großen ganzen
die östliche Orientierung vor und sie war den mittelalterlichen Kartenmalern in Fleisch
und Blut übergegangen.
Aus analogen Gründen wie die Weltkarten sind die Palästinakarten und Stadt
pläne von Jerusalem ostwärts orientiert. Eug. Oberhummer führt die Orientierung
dieser Karten und Pläne auf den Standpunkt des Beschauers zurück, der vom Meere
aus nach Jerusalem reist und zunächst die Küste, dann das Hochland und zuletzt
das Jordantal vor sich sieht. 4 So plausibel die Annahme im ersten Augenblick er
scheint, glaube ich dennoch nicht, daß dieser praktische Standpunkt hier maßgebend
1 S. Günther: Geschichte der Erdkunde. Leipzig u. Wien 1904, S. 101.
2 S. Günther: Die Lehre von der Erdkrümmung u. Erdbewegung im Mittelalter bei den
Arabern u. Hebräern. Halle 1877, S. 101.
3 S. Günther: Die Kosmographie des Heinrich Schreiber von Erfurt. Kettl. Z. f. wiss. Geo
graphie. II. 1881, S. 60, Anm. 1.
4 E. Oberhummer: Der Stadtplan, seine Entwicklung u. Bedeutung. Verb, des XVI.Deutschen
Geographentages zu Nürnberg 1907. Berlin 1907, S. 78.
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