Full text: Die Kartenwissenschaft (1. Band)

Orientieren der Karte. 
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gelitten hat. Es ist sicher anzunehmen, daß, wenn Etzlaub die Karte nicht selbst 
gezeichnet, sie unter seinen Augen hergestellt wurde. 
Die südliche Orientierung hat auch für uns, die wir gern den Wanderstab nach 
S setzen, einen nicht zu verkennenden Anschauungswert; darum sind Karten aus 
der Alpenwelt, die mehr Laienbedürfnissen dienen, mit südlicher Orientierung bis 
in die Gegenwart hinein gefertigt worden. 1 Daß für Schüler die südliche Orientierung 
leichter verständlich ist, hat schon der Wiener Humanist Vadianus (1508—1518 
an der Wiener Hochschule) nachgewiesen. Doch heute kann sich die Schule auf 
derartige pädagogische Experimente nicht mehr einlassen und hat die Jugend trotz 
aller Vorzüge der südlichen Orientierung 1 2 beizeiten an die nördliche zu gewöhnen. 
Die Stimmen für eine Einführung der südlichen Orientierung sind heute noch 
nicht verstummt. Für sie tritt F. Becker energisch ein 3 , da durch sie die Frage der 
Beleuchtung der Geländedarstellung auf natürliche Art gelöst wird, weil es das Natur 
gemäßeste ist, sich nach der Sonne zu orientieren und diese für uns am südlichen 
Himmel steht. Auch E. Hammer steht dieser Frage sympathisch gegenüber. 
170. Die Nordorientierung. Seit der Renaissancezeit bricht sich die nördliche 
Orientierung, die wissenschaftliche Orientierung, wie ich sie nenne, auf den 
Kartenbildern mehr und mehr Bahn. Einmal wurde sie durch die Wiederbelebung 
des Ptolemäus eingeführt und sodann durch die „Globusmacherei“, die im 16. Jahr 
hundert in hoher Blüte stand. Sobald man die Kugelgestalt und die Verteilung der 
Kontinente auf der Erde richtig erfaßt hatte, war es eine ganz natürliche Folge 
erscheinung, den Nordpol oben am Globus hinzulegen, inmitten der Norderdhalbe, 
worauf sich auch das meiste bekannte Land fand. Den Nordpol ständig seitlich oder 
nach unten zu legen, wäre irrsinnig gewesen; die Globusbilder geben von allein die 
nördliche Orientierung. Sie erscheinen bald als Planiglobenkarten einzeln und in 
Atlanten abgebildet. Ihnen war also von Haus aus die nördliche Orientierung eigen. 
Allmählich wurden mit dem Hineinwachsen der Meridiane und Parallelen ins Karten 
bild sämtliche Landkarten in der gleichen Erdstellung entworfen. 4 So folgte eins aus 
dem andern, bis zuletzt die nordsüdliche Richtung auf allen Kartenblättern, auch 
auf den Seekarten 5 , dominierte. Die Nordorientierung ist zweifellos für alle Zeiten 
für die Karten festgelegt. Kleine Ausnahmen in Sonderkarten, Katasterplänen und 
Stadtgrundrissen können daran nichts ändern. So hatte ich, um Raum und Papier 
zu sparen, 1900 meine Karte von Ostasien nordöstlich orientiert. 6 Die vorteilhafteste 
Lage in einem gegebenen Raum oder für einen bestimmten Zweck kann die nord- 
südliche Orientierung vernachlässigen. Belege dafür haben wir kennen gelernt; nicht 
1 Z. B. die Reliefkarte vom Bayr. Hochland; hg. vom Verein zur Förderung des Fremden 
verkehrs in München u. im Bayr. Hochland. Dargestellt von Michael Zeno Dicmer. 
2 Auf die südl. Orientierung werde ich später noch einmal bei der Erörterung der senkrechten 
und schrägen Beleuchtung des Geländes zu sprechen kommen. 
3 F. Becker: Die Schweizerische Kartographie an der Weltausstell. i. Paris 1889 u. ihre neuen 
Ziele. Frauenfeld 1890, S. 19—22. — Die beigegebene Probe aus der von Becker entworfenen Reliefk. 
der Al biskette von Hofer und Bürger zeigt westliche Orientierung. 
4 Die wegen ihrer unglaublichen Fehler berüchtigte Karte „Germaniae omniumque eius pro 
vinciarum . ..“ des F. Bertelius aus d. J. 1562 war eine der ersten Karten ihrer Art mit nördlicher 
Orientierung. 
5 Hier begünstigt auch durch die Magnetnadel 
6 M. Eckert: Ost-Asien. Karte des Kriegsschauplatzes in China. 1:800000. Leipzig 1900.
	        
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