Allgemein Methodisches und Kritisches.
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hat in den aus der Karte gewonnenen Zahlen ein vorzügliches Mittel, das die weitere
Arbeit fördert, das aber auch leicht Gefahr läuft mißbraucht zu werden.
Im System der logischen Wissenschaft schließt sich der Induktion und Deduktion
als ein gleich berechtigtes drittes Glied die fiktive Tätigkeit an. 1 Wir operieren in
Geographie und Kartographie mehr mit Fiktionen als allgemein eingestanden wird,
ja. wir gebrauchen Begriffe, die wir von theoretischem Standpunkt aus als falsch er
kennen; trotzdem behalten wir sie bei, da sie praktisch „wahr“ sind, d. h. nützlich und
unentbehrlich. Das ist ja in jeder exakten Wissenschaft so. Beispielsweise sprechen
wir von einer senkrechten oder schrägen Beleuchtung des Terrains, obwohl eine Be
leuchtung absolut nicht vorhanden ist. Wir bestimmen das Verhältnis von Schwarz zu
Weiß hei dieser oder jener Geländeneigung und wissen, daß es technisch nicht möglich
ist, das Verhältnis restlos zu veranschaulichen. Die Philosophie des „Als Ob“ belehrt
uns über die Erscheinungen und deren Berechtigung. Beispiele hierfür lassen sich in
der Kartographie zu Dutzenden aufzählen.
Die Mittelzahl, mit deren Hilfe physisch-geographische Karten (Isothermen-,
Isobarenkarten usw.) entworfen werden, ist, logisch betrachtet, eine fingierte Zahl,
mit der lediglich gerechnet wird. Wir gelangen damit in das Gebiet der Durchschnitts
fiktionen, d. h. solchen Fiktionen, „wo aus einer Menge graduell verschiedener Er
scheinungen das Mittel dieser abweichenden Grade genommen wird und als Rechnungs
ansatz dient“. 1 2 An diese Stelle reiht H. Vaihinger alle diejenigen willkürlichen Be
stimmungen in den Wissenschaften ein, wo, wie z. B. im Meridian von Ferro, gewisse
Anhaltspunkte willkürlich fixiert werden.
Die kartographische Fiktion ist eng mit der kartographischen Hypothese
verschwistert; manchmal gelingt es kaum, beide auseinander zu halten, da sie sich äußer
lich sehr ähnlich sind. Während die Fiktion unter mehreren gleich möglichen Fiktionen
die zweckmäßigste auswählt, geht die Hypothese auf das Wahrscheinlichste aus, d. h.
sie unterwirft sich der Probe auf ihre Wirklichkeit. Jeder Fachmann weiß, daß die
Karte nur zu oft, besonders wenn sie sich auf das Gebiet angewandter geographischer
Darstellungen begibt, zur hypothetischen Ergänzimg und Konstruktion die Zuflucht
nehmen muß. In der Kartographie gebraucht die Hypothese Analogie, Korrelation und
Kausalität. Während die Analogie leicht zu Irrtümern führen kann, ist dies bei der
Korrelation und Kausalität weniger der Fall, zumal Schlüsse, die aus andern verwandten
Erscheinungen gezogen werden, die Ursache oder Wirkung mit der darzustellenden
Erscheinung klarzulegen imstande sind.
6. Psychische Hemmnisse und ökonomische Tendenz im Kartenbild. Während
das geographische oder kartographische Lehrbuch die wissenschaftlichen Ergebnisse
sukzessorisch unserm Geiste übermittelt, springt uns die Karte mit einem Schlage mit
einem Maximum von Tatsachen ins Gesicht, die wohl mit einem Male überblickt, aber
nicht geistig rubriziert werden, da sie nicht gleichzeitig über die Schwelle des Bewußt
seins treten. Der psychische Mechanismus versagt zunächst. Nur durch viele Übung
kann den natürlichen psychischen Hemmnissen etwas begegnet werden, d. h. die Vor
stellungen werden schneller reproduziert. Wer viele Karten nicht bloß mit dem physi
schen, sondern auch mit dem geistigen Auge betrachtet hat, wird den Gesamteindruck
schneller erfassen als derjenige, der nur dann und wann eine Karte zur Hand nimmt.
1 H. Vaihinger: Die Philosophie des Als Ob. 5. u. 6. Auf]. Leipzig 1920, S. 124.
2 H. Vaihinger, a. a. O., S. 34.