Kartenschrift und Kartennamen.
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und Kunst verwandt. Die Überschrift wird jetzt bedeutend einfacher und nüchterner
gehalten. Immerhin wird darauf geachtet, daß die Höhe der Titelbuchstaben in einem
angemessenen Verhältnis zur Größe der Karte steht; das erreicht man, wenn man sie
proportional der Quadratwurzel aus dem Flächeninhalt der Karte macht. Für das
gewöhnliche Kartenformat hat A. Fretwurst als ein passendes Maß nach der Formel
h = 2,1 ]/1 vorgeschlagen 1 , worin h = Höhe der Buchstaben in Millimeter und
I = Inhalt der vom Kartenrande begrenzten Papierfläche in Quadratzentimeter
ist. Für die Kartographen ist die Formel weniger bindend als für den Kartenzeichner
rein technischer Zwecke; die erstem haben in der Schriftzeichnung empirisch mehr
gelernt als durch Vorschriften. Nur bezüglich des Verhältnisses von kleinen zu großen
Buchstaben hat sich eine bestimmte Norm gebildet, insofern das Verhältnis von 3 : 5
als richtig, das von 2:3 als angängig und von 1 : 2 als falsch gilt.
Ein Meister in der Kartenschrift war Bruno Hassenstein, nicht bloß in der
Auseinanderhaltung von Abstufungen der Größe, um verschiedene Objekte aus
zudrücken, sondern auch in Anpassung an das Gelände. „Es entsprach Hassensteins
Natur, die unvermeidliche Schrift ästhetisch-wissenschaftlich in das Kartenbild
einzupassen.“ 1 2
184. Wertscheidung der geographischen Objekte durch Größe, Stärke, Art, Stellung
und Farbe der Schriftzeichen. Die Schrift, die an sich etwas Sprödes und Starres
hat, sucht sich den andern Kartenelementen anzupassen und anzuschmiegen, um
so etwas Geographisches zu gewinnen, was ihr von Haus aus fremd ist. Auf diese
Weise unterstützt die Kartenschrift die Wertscheidung verschiedener geographischer
Objekte. Der Schrift stehen vier Mittel zur Verfügung, um Begriffe und Wert
verhältnisse zu unterscheiden: Größe und Stärke, Art, Stellung und Farbe der Buch
staben.
Durch die Größe und Stärke der Schriftzeichen die Bedeutung der geo
graphischen Objekte hervorzuheben ist eine altbewährte Methode. Auf der Charta
Flandriae vom Jahre 1538, die also zwei Jahre früher als Mercators Vierblattkarte
von Flandern erschienen und einen gewissen Torrentinus zum Verfasser hat 3 , werden
die Ortschaften der Größe nach durch die Beschriftung und den Geländekomplex
unterschieden. Auf den drei offiziellen deutschen Hauptkartenwerken sind für die
Ortsnamen elf verschiedene Schriftgrößen vorgesehen worden, um von der Begierungs-
stadt die Kreisstadt, Landstadt, .das Dorf usw. zu unterscheiden. Ein ähnliches
Prinzip zeigen die ausländischen offiziellen Kartenwerke; es wdrd jetzt auf allen Karten
angewandt. Die Bedeutung der Schrift für die Ortsunterscheidung hat H. Wagner
zu dem Ausspruch veranlaßt: „Die Schrift und nicht das Ortszeichen soll heute zum
Auge sprechen.“ 4 Nur bedingt unterschreibe ich diesen Satz. 5
1 A. Fretwurst: Die Kartenschrift, Anleitung zum Schreiben derselben für kartographische
und technische Zwecke. Stuttgart s. a., S. 7.
2 Vgl. Fr. Ratzels Biographie über Bruno Hassenstein. P. M. 1902, S. 4.
3 Eug. Traeger: Eine Karte von Flandern vom Jahre 1538. P. M. 1894, S. 90— 92.
4 H. Wagner: Lehrbuch a. a. O., S. 885.
5 Mit der Schrift lediglich nur Stadt, Marktflecken u. Dorf zu unterscheiden, ist kaum zu emp
fehlen, da bei diesem einfachen Unterscheidungsprinzip die Städte mit ihren großen Unterschieden
bezüglich der Einwohnerzahl zu schlecht wegkommen. Dazu vgl. Koristka i. d. Besprechg. von
J. E. Wagners Generalkarte des Königreichs Böhmen. Geograph. Jahresber. üb. Österreich. II,
1895. Wien 1898, S. 170.