Full text: Die Kartenwissenschaft (1)

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Die Landkarte und ihr Lageplan. 
bleiben trotz der schönsten Ausführung Wesen und Zweck der Karte wissenschaft 
lich. Sie ist kein Landschaftsgemälde eines Künstlers, das uns in Stimmung ver 
setzen soll, sie will zu uns von reinen, nackten Tatsachen reden, und wir wollen sie 
benutzen, um uns über den dinglich erfüllten Raum richtige Vorstellungen zu machen, 
um unser geographisches Wissen zu bereichern. Dazu gebraucht die Karte das Wort. 
Jedes bodenständige Objekt bezeichnet sie mit einem charakterisierenden Namen. 
Mithin ist der Name kein der Karte fremdes Element, sondern durchaus ein in 
tegrierender Bestandteil der Karte, wie auch H. Wagner hervorhebt. 1 Viele 
Stimmen sind laut geworden, die das Gegenteil behaupten und in der Schrift (= Namen 
gebung) eine erläuternde Zutat, ein „notwendiges Übel“, C. Vogel 1 2 , eine „unangenehme 
Notwendigkeit“, Cr. Steeb 3 , ein „fremdartiges Element“, A. Hettner 4 , der Karte 
erblicken. E. Friedrich nennt die Nameneinschreibung auf der Karte einen „Not 
behelf“, eine Konzession an den beschränkten Menschengeist, dem sie für die Unter 
scheidung der verschiedenen unter einem Begriff zusammengefaßten und darum mit 
demselben Darstellungsmittel wiedergegebenen Objekte zu Hilfe kommen will. 5 Mit 
dem Eür und Wider wird jedoch das Wesen der Namengebung nicht erschöpft. Zu 
nächst ist es eine große Selbsttäuschung, wenn man sie als fremdes Element der 
Karte betrachtet. Auch H. Haack stimmt dem bei. 6 Sie gehört ebenso zur Karte 
wie die Signatur. Jegliche Signatur, nicht bloß Kartensignatur, will Begriffs- und 
Wertunterschiede zum Ausdruck bringen. Dazu bedarf sie des erklärenden Wortes. 
Die Karte hat nun darin einen Vorzug, daß sie die Interpretation großenteils selbst 
gewähren kann. Die Kartenschrift bzw. Namengebung gibt der Karte Leben und 
Sprache und ist der Schlüssel zu ihrem Verständnis. Darin stimme ich mit H. Fischer 
ganz überein. Meiner Meinung nach hat er das Wesen der Kartenschrift am richtig 
sten erfaßt; seine Ausführungen, die er zu dem Werke „Zu Friedrich Ratzels Ge 
dächtnis“ beigesteuert hat 7 , sind in jeder Weise beherzigenswert. 
Die Meinungsverschiedenheiten über den kartographischen Wert der Schrift 
haben offenbar ihren Ursprung darin, daß man noch nicht gelernt hat, den Grundzug 
der Karte als einen durchaus wissenschaftlich-technischen aufzufassen. Wenn 
E. Friedrich daraus einen Vorwurf konstruieren will, daß der Menschengeist be 
schränkt in der Auffassung sei, setzt er die Problemlösung auf ein totes Gleis. Denn 
das ist eine allgemeine, längst bewiesene psychologische Tatsache, daß man vielerlei 
Wahrnehmungen (Anschauungsbegriffe) mittels des Auges nicht mit einem Male 
erfassen kann; der menschliche Geist bedarf eines Führers, der ihm das Zurechtfinden 
unter der Anhäufung zahlloser Einzelheiten auf der Karte erleichtert, der sicher führt. 
Das kann nur der Kartenname. Er wird zur unentbehrlichen Gedächtnishilfe. Des 
halb ist er unbedingt notwendig. Man darf darum die Schriftnamengebung nicht 
an sich betrachten, da erscheint sie als fremdes Element, das dem Buche entnommen 
1 H. Wagner: Lehrbuch der Geographie. 9. Aufl. Hannover u. Leipzig 1912, S. 239. — Vgl. 
auch A. Bludau, a. a. O., S. 31. 
2 C. Vogel i. Aus allen Weltteilen. XII, S. 164. 
3 Christian v. Steeb: Die geogr. Namen i. d. Militärkarten. Wien 1898, S. 1. 
4 A. Hettner: Die Eigenschaften u. Methoden der kartogr. Darstellung. G. Z. 1910, S. 19. 
5 E. Friedrich: Die Anwendung der kartographischen Darstellungsmittel auf wirtschafts 
geographischen Karten. Leipzig 1901, S. 10. 
6 H. Haack in G. J. 1903/04, S. 395. 
7 H. Fischer, a. a. O., S. 69, 76.
	        
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