Full text: Die Kartenwissenschaft (1)

Zeichnung der von Menschenhand ins Antlitz der Erde eingeschriebenen Spuren. 385 
Ausdrucksmittel der Einwohnerzahl der Wohnstätten. Das bald größere und bald 
kleinere einfache Ringel konnte nur ein schwacher Behelf sein. Nachdem in der 
ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die statistischen Erhebungen über die 
Bevölkerungszahl sicherer und besser und die kleinsten Wohnplätze in die Zählung 
mit eingeschlossen wurden, entstand bald das Bedürfnis, den verschiedenen Ein 
wohnerzahlen durch verschiedene Ortszeichen auf der Karte einen sichtbaren Aus 
druck zu verleihen. Insonderheit hatten sich gegen Ende des Jahrhunderts die 
Bchulatlanten des Verfahrens bemächtigt, durch detaillierte Ortssignaturen die Ein 
wohnerzahlen selbst kleinster Orte zu veranschaulichen. 1 Die Auseinanderhaltung 
von Dorf, Klein-, Mittel- und Großstadt hat sich im großen und ganzen bewährt. 
Überflüssig aber erscheint es auf Schulatlanten zu sein, die Kleinstädte wieder zu 
scheiden in solche mit 10000—20000 Einwohner und unter 10000 Einwohner, des 
gleichen bei den Mittel- und Großstädten Unterabteilungen zu bringen. Schon die 
Festsetzung der Grenze zwischen Mittel- und Kleinstadt durch die 20000 Einwohner 
ist ganz relativ; sie kann mit gleichem Recht bei 25000 oder 30000 Einwohnern je 
nach der Volksdichte und der Entwicklung eines Landes bestimmt werden. Das 
selbe wiederholt sich bei der Unterscheidung zwischen Mittel- und Großstadt. Über 
haupt sollte in den Schulen gar nicht soviel Wert auf die Einprägung von Einwohner 
zahlen gelegt werden, wenn die Schüler die Großstädte mit über 100000 Einwohnern 
genau wissen und die Hauptorte ihrer Heimatprovinz nach der Größe, weiter aber 
die bedeutungsvollsten Städte als Regierungs-, Kreis-, Geschichts-, Verkehrs-, In 
dustrie-, Kurorte usw., dann ist gerade genug erreicht. In gleicher Weise muß das 
andere Extrem, alle Ortschaften auf Schulkarten durch dasselbe Zeichen darzustellen, 
zurückgewiesen werden. 1 2 
Die Karte muß danach streben, daß die „relative Bedeutung eines Ortes im 
Verhältnis zu seiner Umgehung möglichst mit einem Blick erkannt wird“. 3 Dazu 
gehört nicht allein das Ortszeichen, sondern in gleich berechtigtem Maße die Schrift. 4 
Die Ortssignatur beherrscht die kleinmaßstabigen Karten, der Stadtplan bleibt 
den großmaßstahigen Vorbehalten. In dem Berührungsgebiet von topographischer 
und chorographischer Karte mischen sich beide. Die Ortssignatur hat den Vorzug, 
daß sie durch ihre Gestalt die Einwohnerzahl abgerundet ausdrücken kann und weit 
weniger Platz auf der Karte als der Ortsplan einnimmt; sie klassifiziert zugleich die 
Wohnungsstätten. Der Stadtplan hat den Vorteil, daß er über die äußere Gestalt 
1 H. Harms unterscheidet in seinem „Neuen Schulatlas“, der 1901 in erster Aufl. erschien, 
zwei Hauptgruppen von Orten, deren Grenze bei 50000 E. liegt; die Orte, die darüber liegen, erhalten 
große Signatur mit roter Ausfüllung, die darunter liegenden kleinere Signatur ohne rote Ausfüllung. 
Ein prächtiger Unterschied! Damit nicht genug, fängt er mit Hilfe von Strichen, Dreiecken, Viertel-, 
Halb-, Dreiviertel- und Ganzkreis und Figurhalbierungen an, 29 Signaturen für Städtegrößen zu kon 
struieren. Diese zu lesen und zu beherrschen, wird den Schulkindern zugemutet. Weder formales noch 
materiales Wissen wird dadurch herbeigeführt. Selbst wenn man den mnemotechnisch erfaßbaren 
Ortszeichen, z. B. Dreieck = 3000 bzw. 30000 oder in Rot 300000 E., Viereck = 4000 bzw. 40000 
oder in Rot 400000 E., eine leidliche Seite abgewinnen will, läuft doch das Ganze auf eine wertlose 
Künstelei hinaus; ein Beweis dafür, daß selbst ein so kluger und praktischer Kopf, wie Harms ist, 
vor Abirrungen nicht gefeit ist. 
2 Gegen eine solche Forderung von J. J. ten Have in Het onderwys in der aardrijkskunde in 
de lagere school (Haag 1896) wendet sich energisch H. Zondervan in seiner „Allgemeinen Karten 
kunde“. Leipzig 1901, S. 188 Anm. 
:i H. Wagner: Lehrbuch, a. a. O., S. 885. 
4 Vgl. meine Ausführungen auf S. 347 ff. 
Eckort, Kartenwissenschaft. I. 
25
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.