Full text: Die Kartenwissenschaft (1. Band)

Zeichnung der von Menschenhand ins Antlitz der Erde eingeschriebenen Spuren. 395 
innert ein Punkt noch an sein Dasein. Auf Karten kleinen Maßstabes ist auch dieser 
verschwunden, nachdem er hier seinen Zweck erfüllt hat, nämlich zur allgemeinen 
Charakterisierung der Grundzüge des Geländes wesentlich beigetragen zu haben. 
Die Triangulationspunkte I. Ordnung müssen unbedingt auf jeder großmaßstabigen 
Karte, insonderheit auf den topographischen Übersichtskarten, wiedergegeben werden. 
223. Entwicklung des politischen und administrativen Grenzbildes. Die Dar 
stellung der politischen und administrativen Grenzen geht kaum weiter als auf die 
Zeit der Renaissance zurück. Die punktierte Linie war der natürlichste kartographische 
Niederschlag der amtlichen Abgrenzungen. Auf den Katasterkarten wurden die 
Grenz- und Gemarkungssteine in lebhaften Farben, zumeist in Rot, und verhältnis 
mäßig sehr groß gezeichnet, was auf die Bedeutung schließt, die man ihnen von jeher 
zuschrieb. Sie bildeten einen wichtigen Gegenstand, besonders bei den häufigen 
Grenzstreitigkeiten. Übersichtliche und instruktive Karten dafür zu schaffen, war 
für die ältere Zeit sehr schwer; wohl rückten die Grenzsteine auf der Karte zu der 
punktierten Linie zusammen, aber ihren Verlauf sicher festzustellen, verstand man 
nicht oder hatte nicht die nötigen Mittel dazu. 
Nur wenige ältere Karten machen eine anerkennenswerte Ausnahme; wir können 
sie als topographische Spezialkarten ansprechen, da man bei ihrem großen Maßstabe 
und wegen der richtigen Lage der Ortschaften, Flüsse und Grenzen eingehendere 
Vermessungsarbeiten vermutet. Berühmte Beispiele sind die Karten von Wangen 
(1647) und von Lindau (um 1630) des Kunstmalers Joh. Andreas Rauch aus Wangen 1 ; 
sie sind nach den Landschaftsgemälden von Rauch in Kupfer gestochen worden und 
zeigen zweierlei zwischen Grenzsteinen ausgespannte Grenzsignaturen, von denen 
es in der Legende auf den Karten heißt, daß „die starken, schwartzen, gebrochenen 
Linien, sampt den dazwischen stehenden Marcken, die Hohe, die getüpffelten aber, 
die Nidere Gerichtbarkeit ardeutten“. Eine andere ältere Karte, der man Grenz 
genauigkeit nachrühmt (durch R. Wolf), ist Gygers Karte des Kantons Zürich vom 
Jahre 1664 bzw. 1668, auch ein Meisterwerk damaliger Kartographie. 1 2 
Im -allgemeinen sehen wir, daß die administrativen Grenzen die wunderlichsten 
und bizarrsten Formen annehmen, wie sie nimmermehr der Wirklichkeit entsprechen 
konnten, schon weil sie die Oberflächengestaltung und natürliche Bedeckung des 
Bodens nicht genügend berücksichtigten, d. h. nur insoweit, als das Gebiet gerade 
von einem Turm oder Berg aus überblickt werden konnte. Uns ist es überliefert, 
daß von solchen erhöhten Standpunkten aus die Grenzen aufgenommen wurden. 
Für die damalige Geographie, die in ihren Veröffentlichungen der politischen Ein 
teilung großes Gewicht beilegte, war die Wiedergabe der Grenzen eine heikle Sache, 
und trotzdem mochte sie nicht darauf verzichten, wie wir bei den Karten sehen, die 
Philipp Clüver seiner Introductio in universam geographiam beigegeben hat. Die 
politische Grenze wurde auf den Karten kleinern Maßstabes nicht durch Generali- 
sation aus den Spezialkarten gewonnen, sondern nur so ungefähr gezeichnet, indem 
man sich, falls man sich überhaupt dieser Mühe unterzog, an die politische Zugehörig 
keit der Ortschaften hielt und zwischen zwei Orten, die verschiedenen Staaten oder 
Kreisen angehörten, einfach eine Grenzlinie konstruierte. Infolgedessen kam es, 
daß die Grenzen von jedem Kartenbearbeiter anders konstruiert wurden und selten 
1 E. Hammer: Die Karten von Wangen u. von Lindau aus der ersten Hälfte des 17. Jahrh. 
Globus LXXIII. 1898, S. 93 ff mit Abb. von Ausschnitten der beiden Karten. 
2 K. C. Amrein in P. M. 1883, 8. 362.
	        
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