Das Tasten und Suchen nach einer Geländedarstellung im Mittelalter.
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für die Gestaltung. Eine solche Scholle das war das flache Land. Eine Scholle mit
Kiefen das war der große Felsberg mit den scharfen Einschnitten. Oder man legte
im Bilde Schollen übereinander, wie Terrassen — so war Raum geschaffen.“
Bei der Betrachtung der mittelalterlichen Geländebilder auf Karten kommt
man, ermuntert durch die Worte Bredts zu der Überzeugung, daß es sich hierbei um
ein wichtiges Kapitel der Kunstgeschichte handelt. Von diesem Gesichtswinkel aus
hat zum ersten Male in der kartographischen Literatur J. Röger „die Bergzeichnung
auf den altern Karten“ eingehend behandelt. 1 Auf Grund einer etwas weitschweifenden
Analyse der Bergformen auf den mittelalterlichen Karten stellt er eine Systematik
von Formen auf, wobei er Halbkreise, Halbbögen, Lappen, Blattformen, Zacken und
Zähne, Wellen- oder Schlangenlinien, Spiralen, Streifen oder Bänder und Flächen,
ferner Körperformen und grundrißartige Darstellungen mit allerhand Neben- und
Zwischenformen unterscheidet. Eine Menge Wiederholungen bleiben dabei nicht
ausgeschlossen. Von historisch-kartographischem Standpunkt aus vermiß ich das
Genetische in der Rögerschen Systematik der Bergformen. Wir werden später noch
sehen, wie sich die vielfältigen und vielgestaltigen Formen auf wenige Grundformen
zurückführen lassen.
234. Die Schollenform uud ihre Abwandlung auf den 31önchskarten. Bei dem
Tasten und Suchen nach einer typischen Anschauungsform der Berge übernahm der
Kartenzeichner die Bergform der mittelalterlichen Maler, nicht selten waren Karten
zeichner und Maler eine Person. Die Erdscholle, die oben mehr oder weniger glatt
war, wurde die Grundform der Berge. Je nachdem die Seitenwände gekehlt oder
stark gerieft waren, wurde die Vorstellung von hohem Felsengebirge geweckt. Ver
schiedene große Spalten und Schluchten drangen in die Scholle hinein. Dazu eine
plastisch wirkende Schattierung der Seitenwände und das malerische Bild des Ge
ländes war fertig, wie z. B. der Unindius mons (Westteil des Kantabrischen Gebirges)
der römischen Ptolemäusausgaben von 1478 und 1490. 1 2 Merkwürdigerweise findet
sich die Darstellung in Schollen- oder Steinplattenform noch einmal später wieder,
1676, auf einem Manuskript im Service Hydrographique zu Paris. 3 Darauf sind die
ganzen Länder, z. B. Spanien, als erhabene Steinplatten abgebildet, die wie frisch
abgebrochene Eisberge aus dem Meer emporragen. Für die Hervorhebung von Inseln
und Halbinseln war dies keine seltene Darstellung. 4 Tief eingerissene und zerspaltene
hohe Felsplatten erblicken wir neben den oben gleichfalls abgeplatteten Kristall-
nadeln einzelner Berge auf der von Jo mar d als „Carte perspective italienne du
XV. siècle“ benannten Karte. 5
Die Einzelblöcke gewinnen auf vielen Karten an Höhe und gleichen abge
1 Das Schriftchen, auf das wir in unsern Anmerkungen schon einige Mal hingewiesen haben,
zeichnet sich durch Sachkenntnis und fließenden Stil aus, die zahlreichen Abbildungen von Berg
formen sind dankbar zu begrüßen.
2 Vgl. hierzu die Abbildungen 142-145, 148-151, 157, 158, 161 und 162 bei J. Röger. Auch
Nordenskiölds Facsimile-Atlas, T. 3, ist heranzuziehen.
3 Die Karte stammt von Beaulieu und heißt: Océan Atlantique de l’Irlande au Congo et côtes
opposées d’Amérique entre 61° N et 19° Lat. S.
4 Z. B. die Inseln Madeira und Seeland auf Karten in Honters Kosmographie. Basel 1561.
Vgl. Nordenskiölds Faksimile-Atlas, S. 112, Abb.72 und Periplus S. 117, Abb. 52.
5 E. Fr. Jomard: Les Monuments de la Géographie. Paris 1862, Bl. 35. — Mir stand das
Exemplar der U.-Bi. Göttingen zur Verfügung.