Das Morgendämmern neuer Geländedarstellungen.
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Schraffenkarte, bis die Bekanntgabe der Rauchschen Karten von Wangen und Lindau
sie als Er st karte zu entwerten versuchte. Bei eingehendem Vergleiche dieser Karten
untereinander und mit andern gleichzeitigen muß ich feststellen, daß die Karte Pro-
vinzia Briscoia noch immer die erste Schraffenkarte ist, wo die Schraffe be
wußt ein Darstellungsmittel des Geländes ist. 1 Die Schraffe ist das Gelände, ist kein
Übersetzungsmittel eines farbigen Geländegemäldes. Zugleich ist die Karte die erste'
Schraffenkarte, auf der das Gelände durchgängig, also einheitlich im Grundriß
wiedergegeben ist; der vom Gebirge eingenommene Raum entspricht genau den
natürlichen Verhäl tni ssen. 1 2
Die Halbperspektive hatte den Gesichtspunkt höher und höher gelegt, bis er
zuletzt senkrecht über dem Bild stand, die linksseitige Beleuchtung ist geblieben.
Dies ist das einzige, was die Breisgaukarte aus der Kavalierperspektive herüber
gerettet hat. Wie H. Zondervan bei ihr eine „schräge Vogelschau“ voraussetzen
kann 3 , bleibt mir unverständlich. Mit außerordentlichem Geschick sind Tälchen,
Schluchten und andere orographischen Kleinformen behandelt. Die Schraffen ver
laufen in der Richtung des größten Gefälles. Wo die Schraffen nach dem Talboden,
der Ebene zu auseinanderstreben, vermeidet der Zeichner allzu weite Entfernungen
der Schraffen und schiebt kleine, kaum erkennbare Querschraffen ein, auch sonst
bedient er sich neben der geraden der fein gewundenen Schraffenlinie und läßt die
Schraffen sich nach den Talböden zu vielfach in Punkte verlieren. Eür die Heraus
arbeitung des Geländes bedient er sich nicht der bei den damaligen Kartenzeichnern
so sehr beliebten Schwungstriche, sondern legt von der Höhe nach der Tiefe oder
umgekehrt verschiedene Schraffenreihen hintereinander (also ganz Lehmannsches
Prinzip!). Von oben angefangen wurde erst eine kurze, feineSchraffenreihe angewandt,
um von der Höhe oder der breiten Kuppenoberfläche an zum Gefälle überzuleiten;
dann folgt eine kräftiger gezeichnete, mit engen Schraffenzwischenräumen versehene
Reihe, um das größte Gefälle und den tiefsten Schatten zu markieren; daran schließen
sich noch ein oder zwei leichter gezeichnete Schraffenreihen, in denen das Gefälle
zur Ebene ausklingt. Mithin finden wir auf dieser Karte bereits die Ansätze zu einer
Böschungsschraffierung. Wie geschickt die Schraffenarten verwendet sind, be
zeugt der ruhige und vornehme Gesamteindruck der Karte. Darin, daß sie etwas
manieriert für unser heutiges Auge erscheint, erwächst ihr kein Vorwurf; steht sie
doch selbst in dieser Bezeichnung turmhoch über modernen Karten, die uns verschiedene
Reisende aus ihrem Forschungsgebiet mitgebracht, bzw. später konstruiert haben.
Die Terraindarstellung der Karte Provincia Briscoia ist eine bedeutende Leistung
für ihre Zeit, und dem Kartographen, der sie, wie wir wissen, nach eigenen Ver
messungen und Aufnahmen hergestellt hat, den wir jedoch mit Namen nicht kennen,
es war ein kaiserlicher Ingenieur zu Freiburg im Breisgau, gebührt mehr als einem
andern die Auszeichnung eines „Großmeisters der Geländedarstellung“.
248. Bekannte und unbekannte Schraffenkarten des 18. Jahrhunderts. Als
„epochemachend für die Geschichte der kartographischen Darstellung“ wird von
K. v. Haradauer die auf Befehl des Prinzen Eugen ausgeführte ä la vue-Aufnahme
des Temeser Banates aus dem Jahre 1728 (1 : 262000) gepriesen, weil sie „zum ersten
1 Peschel-Ruge: Geschichte der Erdkunde. 2. Aufl. München 1877, S. 701, Anm. 1.
2 J. Werner, a. a. O., S. 59.
2 H. Zondervan: Allgemeine Kartenkunde. Leipzig 1901. S. 51.
Eckert, Kartenwissenschaft. I.