Die morphographische Induktion.
505
ihre Anregungen und Arbeitsrichtungen mehr aus dem Gebiete der Topographie und
Geodäsie und diese mehr aus dem der Geographie. An die Vereinigung beider
Richtungen hat man noch nicht gedacht, obwohl auch da wertvolle und klärende
Gesichtspunkte gewonnen werden würden. Hat der Geograph das theoretische Denken
voraus, so der Topograph die längere Autopsie, infolge der ständigen Beschäftigung
mit den Geländeformen. Manche nicht ganz einwandfreien Begriffe der neuern Morpho
logie würden verschwinden oder auf ihr richtiges Maß zurückgeschraubt werden, wenn
man die Formen unter „topographischer Brille“ betrachtet hätte.
Eben weil die Analyse der Geländeformen auf der Karte eine genaue Kenntnis
der Einzelformen voraussetzt, ist die technisch-morphologische Geländelehre nicht
bloß ein wichtiges Kapitel der Geländeaufnahme, sondern auch der Morphologie wie
der Kartographie selbst. Mit der äußern Form der Geländedarstellung, der Orographie,
beschäftigt man. sich seit einem Jahrhundert, aber erst der neuern Zeit gelang es, mit
einzelnen termini technici ein genetisches Element zu verbinden, dank der morpho
logischen Forschungen verschiedener Geographen. Ein ganzes Gebäude der technisch
morphologischen Geländelehre aufzubauen, würde mich weit über den Rahmen der
hier bezweckten Forschungen und Grundlagen hinausführen; es kann sich nur darum
handeln, auf einige typische Beispiele hinzuweisen, auf einige Formenelemente, die
in der Morphologie selten oder nicht genügend gewürdigt sind. 1
Die Entstehung der Scheitelformen (Kuppe, Rücken, Platte [Plateau]) muß
besser als bisher entwickelt werden und sich im Kartenbild klar auslösen. Selbst
redend werden Karten in Maßstäben vorausgesetzt, die die morphologischen Klein
formen wiederzugeben gestatten. Also haben wir es da fast ausschließlich mit topo
graphischen Karten zu tun. Morphologischen Großformen können auch die choro-
graphischen Karten gerecht werden. In morphologischen Untersuchungen vermisse
ich weiterhin die Unterscheidung von Längen- und Quersattel. Nicht übergangen
sei, daß mit A. Philippson die bessere Hervorhebung der Quellgebiete und Wasser
scheidelinien in die topographisch-kartographischen Kreise eingedrungen ist.
Mit der Darlegung der Formen des Abhanges sieht es in den morphologischen
Untersuchungen meistens recht ärmlich aus, obwohl sie kartographisch als fast voll
ständig geklärt gelten können. Zu solchen Formen rechnen die Abhangsrücken,
Rasten (Rückenabsätze), Absätze, Rückfallkuppen, Nasen, Rippen, schiefe Steile,
Geländestufen. Damit bezeichnen wir die verschiedenen konvexen Formen des Ab
hangs, denen die konkaven gegenüberstehen, also Mulden, Rinnen, Verschneidungen,
Wasserrisse, Rachein, Gruben, Löcher und Trichter.
Wie der Scheitel und der Abhang bietet der untere Teil des Berges, der Berg
fuß, verschiedene Seiten der Betrachtung dar. Schon die Fußlinie, d. i. die Grenz
linie mit der Basis, auf der er aufsteht, bietet ein besonderes Feld der Betrachtung.
Umlaufberge und Inselberge haben eine andere Genesis als massigere Erhebungen
und müssen dementsprechend im Kartenbild besonders behandelt werden. Beim
Bergfuß unterscheidet man Rideaus (Vorhänge), Ravins, Muren, Schwemm- oder
Schuttkegel.
Mehr als für die einzelnen Bergformelemente hat die Kartographie aus der
bisherigen Betrachtung morphologischer Talformen gewonnen. Freilich mit dem
1 Zu obigen Ausführungen vgl. Fr. Härtner: Hand- und Lehrbuch der niedem Geodäsie.
Fortgesetzt von J. Wastler, umgearbeitet von Ed. Dolezal. 10. Auf 1. II. Wien 1910. Darstellung
der Vertikalaufnahme S. 309—337.