J. G. Lehmann und sein System.
523
bei? Kaum. Gewiß hat er Neues hinzugebracht und das ganze Problem von einer
ganz eigenartigen Seite aus zu beleuchten versucht, aber er hat viel zu viel hinein
getragen, was von Haus aus nicht drinnen lag, was ihr Urheber auch gar nicht be
absichtigte; war Lehmann doch, wie Peucker selbst anerkennt, nichts mehr und nicht
weniger als der wenig gelehrte, nur eben mit selbständiger Auffassung begabte militär
wissenschaftliche Autodidakt. 1
Nachdem in Peucker die Beziehung der Lehmannschen Schraffe zum Gradnetz
der Erde einmal aufgetaucht war, kann man sich vorstellen, daß es für ihn verlockend
war, den Vergleich weiter auszuspinnen und ihn in das verschiedenste Licht zu setzen;
und hat man sich erst in seine Denkweise eingelebt, erscheint vieles gar nicht so dunkel
und unklar, wie einige Kritiker meinen. Auch habe ich nicht, wie E. Hammer 1 2 und
auf diesen gestützt H. Haack 3 , den „Eindruck des Spiels mit Worten“ gehabt, sondern
den der logischen konsequenten Durchführung seiner Überzeugung, d. i. seines ihm
nun einmal eingefallenen Vergleichs und seiner kartographischen Lehrabsicht. Be
züglich des ersten dieser letztgenannten Punkte mußte er in der Unterlassung Leh
manns, das Bild der Böschungen zu einem exakten Böschungsbild zu ergänzen,
einen Hauptfehler sehen, der aus dem Mangel an Schärfe in dessen Auffassung des
eignen Darstellungssystems hervorging. Weiter führte ihn die analytische Betrachtung
zum Gebrauche der Vertikalprojektion im Sinne der Höhendarstellung im Grundriß.
Die „Vertikalprojektion“ faßt er im optischen Sinn auf. „Die Horizontalprojektion
des Profils gewährt (in den Isohypsen) das Zirkelmaß, seine Vertikalprojektion das
Augenmaß seiner Winkel. Das Augenmaß der Winkel liegt in einer andern Ebene,
es ist völlig getrennt vom Zirkelmaß.“ 4 Hammer erblickt in der Peuckerschen Auf
fassung eine Willkür in der Abänderung feststehender geometrischer Begriffe. Da
gegen will ich sie lieber in die Erage kleiden: Werden sich die neuen Bezeichnungen
Peuckers in der Kartographie einbürgern? Und mit Haack möchte ich bezweifeln,
daß sie jemals im Gebiet der Geländedarstellung gangbare Münze werden. Aus
drücklich will ich bemerken, daß dies den Peuckerschen Ausführungen gegenüber
kein Vorwurf sein soll; ich weiß, daß sie aus dem Entwicklungsgänge der wissenschaft
lichen Veröffentlichungen Peuckers heraus verstanden sein wollen. Das bringt uns
zur Erörterung des andern oben angedeuteten Punktes.
Von dem heiligen Ernst beseelt, der Kartographie, insbesondere der Gelände-
darstellung ein wissenschaftliches Gebäude zu errichten (S. 3), war er der Meinung,
dies auch äußerlich durch die Form (Wortbildung) und Schreibweise (Stil) zu doku
mentieren, dabei vielfach außer acht lassend, daß Einfachheit und Knappheit in der
Begel klarer und wissenschaftlicher sind als tote volltönende Worte und geschraubte
Sätze. Wie umständlich drückt er z. B. aus, daß durch das Verhältnis von Schwarz
zu Weiß bei der Scliraffendarstellung die Winkel der geneigten Flächen ausgedrückt
werden sollen; Peucker schreibt: „Die durch die Nichtbenutzung der Großkreissclmitte
zur Messung von Azimuten freigewordene Anordnung derselben verwendete Lehmann
1 K. Peucker, a. a. 0„ S. 39 [317]. — Beim Studium der Peuckerschen Ausführungen fiel
mir unwillkürlich der Vergleich mit verschiedenen Faustinterpreten ein. Was da alles aus Goethes
Faust herausgeholt und wie da alles zerkleinert, zerfasert und zerzerrt wird, ist erstaunlich; wenn Goethe
jedoch an all dieses hätte denken müssen, wäre er vor lauter Denken zu keinem Dichten gekommen.
2 E. Hammer i. P. M. 1905. LB. 262, S. 87.
2 H. Haack i. G. J. XXIX. 1906/07, S. 379.
4 K. Peucker, a. a. 0., S. 75 [391].