558
Die wissenschaftlichen Grundlagen der Geländedarstellung.
Den gleichen Ansichten huldigte F. v. Eicht ho fen. In seinem Führer für For
schungsreisende lesen wir 1 , nachdem er sich zunächst über die Zeichnung der Gebirge
(Richthofen schreibt „seitliche“, wir sagen heute dafür „schräge“ Beleuchtung) aus
gesprochen hat, „sie“ (die „schräge“ Beleuchtung) zeigt besonders im Hochgebirge
die Verzweigungen der Kämme und Rücken mit großer Schärfe und gewährt dem
Laien das anschaulichste Bild. Diese Methode ist zwar bei der Anfertigung von Ge-
birgskarten der Schweiz, welche mit Recht als Meisterwerke bewundert werden,
benutzt worden, ist aber nicht zu empfehlen, weil sie der Richtigkeit entbehrt; denn
auf der beleuchteten Seite treten die Wechsel in der Neigung der Gehänge bis zur
Unkenntlichkeit zurück, und auch auf der Schattenseite zeichnen sie sich nicht hin
länglich, weil schon zu schwach geneigte Gehänge den Schattenton erhalten müssen.
Diejenigen Methoden, welche von der senkrechten Beleuchtung ausgehen, sollten bei
Karten, welche auf wissenschaftlichen Charakter Anspruch machen, allein angewendet
werden.' ‘
Mit E.v. Drygalski will ich die Reihe der Vertreter der senkrechten Beleuchtung
schließen, der ich aus dem In- und Ausland noch eine große Anzahl beifügen könnte,
es jedoch unterlasse, da nirgendwo ein wirklich neuer, in die Augen springender Punkt
der Behandlung wahrzunehmen ist. In dem Werke der deutschen Südpolarexpedition
heißt es bei der kartographischen Darstellung des Gaußberges: „Die Böschungen
des Berges und seiner Umgebung sind bei streng senkrecht gedachter Beleuchtung
in Schummermanier dargestellt. Eine Darstellung unter schräger Beleuchtung der
Gehänge verbot sich von selbst, da die Schatten dann irreführende Bilder auf den
Stufen ergeben hätten.“ 1 2 Die plastische Wirkung dieses Einzelberges war infolge
seiner Oberflächenbeschaffenheit nicht so leicht herauszuarbeiten, da die Eismassen
des Gaußberges nicht in die Felsen eingelagert erscheinen, wie die Gletscher der Alpen,
sondern aufgelagert und den gleichen Formenabstufungen unterworfen wie die Felsen
selbst. Es wurde deshalb für die Felshänge eine das gedämpfte Graublau des Eises
nicht aufhebende bräunliche Schummerung gewählt. 3 Beide Farbtöne sind den
Böschungen angepaßt. Auf diese Weise macht die Böschungszeichnung ganz den
Eindruck des Geschlossenen, Einheitlichen und Unabhängigen von dem Material,
ob Eis oder Fels. Kaum besser und harmonischer konnte ein plastisches Kartenbild
des Gaußberges gewonnen werden.
Überblicken wir alles, was bedeutende Forscher und Gelehrte über den Vorzug
der schrägen oder der senkrechten Beleuchtung gesagt haben, entscheiden sie sich
fast ohne Ausnahme für die letztere. Da muß doch etwas in und an dieser Beleuch
tungsart sein, was ihr ohne Widerstreit eine Bedeutung verleiht. Offenbar hängt
dies auch damit zusammen, daß der Wissenschaftler mehr abstrakter, anzuschauen
und zu denken vermag als der Laie und ihm die Karte eine Deduktionsquelle neuer
Begriffe und neuer wissenschaftlicher Ergebnisse ist. So wird uns die Reihe der Ur
teile, von den unnatürlich schräg beleuchteten Schulkarten angefangen bis hinauf
durch alle Schattierungen hindurch zu den senkrecht beleuchteten topographischen
1 F. v. Richthofen: Führer f. Forschungsreisende. Berlin 1886, S. 57, 58.
2 Deutsche Südpolarexpedition 1901 — 1903. II. Heft I. E. v. Drygalski: Der Gaußberg.
Seine Kartierung u. seine Formen. Berlin 1906. — Taf. I enthält die Karte des Gaußberges, die M. Groll
nach den Aufnahmen von E. v. Drygalski und H. Gazert konstruiert hat.
3 Ursprünglich eine violette Färbung, die noch besser zu dem Eisblau gepaßt hätte; a. a. O.,
S. 25.