Zur Genesis des Punktsystems.
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Die Darstellung in Lehmannschen Böschungsschraffen faßten wir als reine
Konstruktionsaufgabe auf, wobei man, wie bemerkt, eigentlich von senkrechter Be
leuchtung nicht reden darf. Nur in Anbetracht des allgemeinen Sprachgebrauchs der
Bezeichnung „senkrechte Beleuchtung“ haben wir ihr eine Konzession in unsern
Erörterungen bisher eingeräumt. Indessen dürfte es doch angebracht erscheinen,
ihr einen vollwertigen Platz zu geben, sobald es nur gelingt, Wege zu finden und zu
bahnen, die das physische Gesetz der senkrechten Beleuchtung anzuwenden erlauben.
Den Punkt kann ich ebensogut als Symbol des Lichtes bzw. Lichtstrahls wie
als Symbol des Schattens bzw. Lichtmangels auf fassen. Nichts hindert mich, ebenso
mit der Schraffe zu verfahren. Indessen hat von Haus aus der Punkt als Durch
schnitt oder senkrechte Projektion des Lichtstrahls oder Lichtbüschels mehr in der
Betrachtung als Lichtsymbol für sich voraus als die Schraffe. Wir zeichnen nun die
Punkte gemeinhin schwarz, was zunächst widersinnig zum Wesen des Lichtstrahls
erscheint. Indessen sei an die schwarze Tafel erinnert, worauf wir weiße Punkte
und Striche zeichnen, und niemandem fällt es ein, sich über die Lichtwidrigkeit oder
das Aufnehmen falscher Vorstellungen aufzuregen. Darum dürfte es ebenfalls nicht
schwer fallen, den wahren Sinn des Lichtpunktes als Symbol des Lichtstrahls zu er
fassen, auch wenn er im schwarzen Gewand uns entgegentritt. Umgekehrt kann
man dasselbe von dem „Schattenbüschel“ sagen; seine Projektion als Punkt ist das
Symbol des Lichtmangels.
Nachdem J. H. Lambert 1760 in seiner „Photometria, sive de mensura et
gradibus luminis, colororum et umbrae (Augustae Vindelicorum)“ die physikalischen
Grundlagen der neuern Schatten- und Beleuchtungslehre geschaffen hatte, fehlte
es nicht an verschiedenen Versuchen, sie in einigen Punkten zu verbessern. Aber
trotz heißer Bemühungen in den letzten Dezennien ist man über Lambert kaum
wesentlich hinausgekommen. Insbesondere hat L. Burmester die Theorie und
Darstellung der Beleuchtung gesetzmäßig gestalteter Flächen (Leipzig 1871) zu
fördern gesucht. Wir bezeichnen den Einfallwinkel des Lichtes, d. i. der Winkel
des einfallenden Lichtstrahls mit der geneigten Fläche oder der Flächennormale
als e; bei senkrechter Beleuchtung ist er gleich dem Böschungswinkel <p. Die Be
leuchtungsstärke oder Lichtintensität sei mit J bezeichnet; unter ihr verstehen wir
die Menge der Lichtstrahlen, die auf die Flächeneinheit der beleuchteten Fläche fällt.
Nach dem physikalischen Beleuchtungsgesetz ist
J = L cos £.
L ist die Lichtmenge, die in einem Parallellichtbüschel von einem senkrechten
Querschnitt gleich der Flächeneinheit erhalten ist. 1 Im Grunde genommen ist dies
nichts anderes, als wenn wir sagen würden, L ist gleich der Lichtstärke der Licht
quelle; wir bezeichnen sie mit 1.
Da b — L = 1 und J — L cose, ist J —L cos rp — cos y>; d. h. mit
andern Worten: Die Beleuchtungsstärke eines Flächenelements ist mit
der Stärke der Lichtquelle und mit dem Kosinus des Einfallwinkels
oder Böschungswinkels proportional. Je nachdem der Kosinus größer oder
kleiner wird, nimmt die Beleuchtungsstärke zu oder ab, was wir in folgendem Gesetze
ausdrücken:
1 Obige Erklärung ist wiedergegeben nach Clir. Wiener: Lehrbuch der darstellenden Geo
metrie. I. Leipzig 1884, S. 391.