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Die wissenschaftlichen Grundlagen der Geländedarstellung.
Der Böschungswinkel ist nur von Kartenkundigen und im Kartenlesen sehr
Bewanderten aus dem Schichtlinienbild schnell zu lesen. Tn der Begel bedarf es dazu
der Berechnung des Profildreiecks, das auf Grundlage der Schichtlinien, die in gleichen
Höhenabständen einander folgen, gewonnen wird. Die Höhenabstände oder die Ver
tikalentfernung der Isohypsen ist die Schichthöhe li, also die eine Kathete des Dreiecks,
und die Entfernung der Schichtlinien im Grundriß oder im horizontalen Sinne (mit
dem Zirkel im Sinne des Schraffenverlaufs gemessen) die andere Kathete a. Wenn cp
der Böschungswinkel ist, dann sind
— = tg cp, h = atgcp,
Tb ctg cp, a — h . ctg cp,
h ist eine gleichbleibende Größe, die von vornherein normiert wird, entweder
zu 5, 10, 20, 25, 50 m oder in sonst einem Maße. Wir sprechen alsdann von derÄqui-
distanz der Schichtlinien. Innerhalb der festgelegten Äquidistanz sind a und cp
veränderliche Größen. Beide stehen in reziprokem Verhältnis zueinander: Je kleiner
n wird, um so größer wird Winkel cp und umgekehrt. Die verschiedenen Entfernungen a,
also a, a v a 2 , a s usw. verhalten sich zueinander wie die Kotangenten der Neigungs
winkel cp (s. obige Formeln). Mit diesen mathematischen Formeln und Ableitungen
werden Fragen über die Gestaltung des Geländes, wie Höhe, Lage, Form, Ausdehnung
und Lage der Neigungswinkel erschöpfend und genau beantwortet. Immerhin ist das
Entnehmen der Neigungswinkel aus der Schichtlinienkarte etwas umständlich. Die
zwischen den Schichtlinien gezogene Schraffe leistet in dieser Hinsicht bessere Dienste,
da bei ihr noch das Verhältnis von Weiß zu Schwarz die Anschauung unterstützt,
was schon seinerzeit E. v. Sydow mit den Worten zum Ausdruck brachte: ,,Du Carla
liefert das zwar schmucklose, aber scharf bestimmte Gerippe, Lehmann das Gewand
zur Erleichterung des schnellem Auffassens der Form“ 1 ; oder wie wenige Jahre
später v. Rüd gisch: „Die Bergstrichmanier gibt die Form Verhältnisse sehr deutlich
und schnell verständlich; die Höhenverhältnisse sind nicht von vornherein zu er
kennen; die Böschungsverhältnisse sind genau zu erkennen. Die Horizontalmanier
gibt die Formverhältnisse nicht auf den ersten Blick verständlich; die Böschungen
sind nicht unmittelbar zu erkennen, aber mittelbar aufs genaueste; die Höhenver
hältnisse lassen sich genau erkennen.“ 1 2 Die gleiche Melodie kehrt in den verschiedensten
Varianten auch heute wieder. 3 Dem Übelstand der Schichtlinienkarte zu begegnen,
hat dazu geführt, nach der Formel tg cp — h/a den Böschungsmaßstab zu kon
struieren und der Karte beizugeben. Wo er fehlt, läßt er sich jeder Zeit sonder Mühe
neu entwerfen. 4 Nicht jeder dürfte wohl S. Simon beistimmen, der in seinen Alpinen
Plaudereien 5 ausführt: „Da wir für Distanzen ein ungleich viel besseres Schätzungs
vermögen haben als für Töne, so ist es viel rationeller, die jeweilige Kurvendistanz
als Böschungsmaßstab zu benutzen, als den Schraffenton.“
1 E. v. Sydow: Drei Kartenklippen. G. J. I. Gotha 1866, S. 354.
2 v. Rüdgisch: Die Bergzeichnung auf Plänen. Metz 1874, S. 38.
3 Vgl. K. Peucker: Schattenplastik und Farbenplastik. Wien 1898, S. 5.
4 Seine Anfertigung wird in verschiedenen Schriften behandelt; klar und gut z. B. bei Br.
Schulze: Das militärische Aufnehmen. Leipzig und Berlin 1903, S. 176—178. — Vgl. auch H. Kerp:
Die erdkundlichen Raumvorstellungen. Berlin 1899, S. 27—30.
5 S. Simon i. Z. d. D. u. Ö. A.-V. 1893, S. 385.