Zur Raumwirkung der Farben.
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Zeichnung in den hohem, uns näher gelegenen Partien die Beleuchtungskontraste
steigern, in den tiefem, ferner gelegenen aber mildern.“ 1 Zuerst ist dieses hier an
gestrebte System auf der Schweizer Karte von Leuzinger angewendet worden; an
seiner Vervollkommnung haben Becker, Wüster, Kandegger, Imfeld, Kümmerly
gearbeitet. Es sind die Karten in Schweizer Manier, die trotz ihrer Farben
fülle das Isohypsengerippe durchblicken lassen, was ebenso charakteristisch für sie
wie die Farbe ist, aber in Besprechungen und Beurteilungen der Schweizermanier
karten größtenteils übersehen wird; und farbige Schweizer Karten, denen die Höhen
schichtlinien fehlen, sind eben keine Karten in Schweizer Manier.
In fast ähnlicher Weise wie Becker drang Kümmerly in das Wesen der Schweizer
Manier ein. Er hatte sich eingehender mit Kunstmalern besprochen, dauernd die
Landschaftsfarben im Hochgebirge studiert und sich in das Verhalten der Farben
zueinander und ihre physiologische Wirkung vertieft. Die neuen Ideen, zu denen
er kam, verdichteten sich zur Stellung des Problems: „Einmal müssen die im natür
lichen Landschaftsbilde in erster Linie maßgebenden Farbentöne auch auf der Karte
als dominierende auftreten, und sodann müssen sie so kombiniert und nuanciert
werden, daß sie sich gegenseitig fördern, d. h. physiologisch die stärkste Wirkung
tun.“ 1 2 Dies könnte ebensogut Peucker gesagt haben. Und doch ist ein gewaltiger
Unterschied zwischen der Peuckerschen und Schweizer Manier, wie letztere sich jetzt
in den berühmten Schulwandkarten der Schweiz und des Kantons Bern, beide, wie
auch die herrliche Karte von Vorarlberg in 1 : 75000 in der Hauptsache von Küm
merly bearbeitet, darbietet. Die Schweizer Manier zielt auf das malerische, die
Peuckersche auf das wissenschaftlich eindeutige Höhenbild, jene läßt sich nur
in alpinem und verwandtem Gelände meisterhaft gebrauchen, diese für jegliches
Gelände, jene wirkt lediglich bei schräger Beleuchtung und kann zur Baumorientierung
die Isohypsen nicht entbehren, diese wirkt bei jeder Beleuchtung, indem sie die Farben
an sich perspektivisch wirken läßt, und bedarf nicht der Isohypsen als wissenschaft
lichen Notbehelf zur Veranschaulichung der dritten Dimension.
II. Zur Raumwirkung der Farben.
I>77. Farben ohne raumerhebende Wirkung. (Kalte und warme Farben.) Kehren
wir zu Peucker zurück. Sein Grundsatz: Je farbensatter desto höher, kann nicht
für jede Farbe auf der farbenplastischen Karte angewendet werden. Es gibt eine
Anzahl Farben, die durch Sättigung nicht an Helligkeit und Leuchtkraft (Intensität)
gewinnen, sondern auffallend dunkel werden und infolgedessen keine raumerhebende
Wirkung haben. 3 Dazu gehören Violett, Blau und bis zu einem gewissen Grade
auch Grün. Es sind die kalten Farben im Gegensätze zu den warmen, den gelben,
orangen und roten Tönen, die bei genügender Sättigung am kräftigsten und licht
stärksten wirken. H. Habenicht kommt auf den Gegensatz von kalten und warmen
1 F. B ecker: Die schweizerische Kartographie an der Weltausstellg. i. Paris 1889 und ihre
neuen Ziele. Frauenfeld 1890, S. 15. — Neuere Bestrebungen auf dem Gebiet der Kartographie.
Jahrb. d. S. A. C. XXIV.
2 G. Stückli, a. a. O., S. 11.
3 Goethe: Farbenlehre I, 780: „Wie wir den hohen Himmel, die fernen Berge blau sehen,
so scheint eine blaue Fläche auch vor uns zurückzuweichen.“