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Die wissenschaftlichen Grundlagen der Geländedarstelluug.
da es nicht angeht, daß der farbenplastischen Theorie zuliebe die Tieflandgebiete
in Grau gehüllt werden. E. v. Sydow hatte einer richtigen Empfindung zum Aus
druck verholfen, als er für das Tiefland den grünen Farbton einführte, der sich als
Natur- und Kulturfarbe wohl niemals wieder aus der Karte verdrängen lassen wird.
Die Weltkartenkonferenz hatte nicht unrecht, für die Farbengebung der untersten
Geländestufen grüne Farben festzusetzen. Darum kann man nur der Peuckerschen
Skala empfehlen, sie auch mit Grün beginnen zu lassen, etwa mit einem durchsichtigen,
stumpfen Blaugrün. Trotz des Unterdrückens des graublauen Tieflandtones hätte
die Skala keine Einbuße an Kraft und Wirkung, im Gegenteil, das ganze Karten
bild gewinnt an Deutlichkeit und Eindeutigkeit. Das Graublau der Talungen ver
schmilzt in einiger Entfernung gesehen oder bei Lampenlicht nur zu leicht mit dem
graublauen Ton der Schummerung und steile Gehänge erscheinen als Teile von Tälern
und verbreitern ins Unnatürliche das Tal; so erscheint z. B. auf der Dolomitenkarte
das Etschtal auf Kosten der Gehänge um die Hälfte zu breit.
Die Einwände, die man dem Peuckerschen System gegenüber erhoben hat und
erheben kann, sind hei Lichte besehen gering und für die Erschütterung der innern
Festigkeit des Lehrgebäudes belanglos; mit Leichtigkeit lassen sich auftretende Mängel
und Zweifel beheben. Urteilt man auf Grund tiefer Kartenkenntnis und vorurteils
frei über das System, muß man ehrlich und offen sagen: Ihm gehört die Zukunft,
hier wird der Kartographie ein weiter gangbarer und ersprießlicher Weg gezeigt.
In ihm und durch es wird zum erstenmal nach farbentheoretischen, logischen und
psychologischen Grundsätzen eine Höhenplastik entwickelt, wie wir sie bis dahin
noch nicht besaßen. Die ausgezeichnete Schweizer Manier läßt sich eben nur auf
die Schweiz, nicht aber auf anders geartetes Gelände, wie das deutsche Mittelgebirge,
anwenden. Das Peuckersche System paßt, wie oben erörtert, für jede
Geländeform, eben weil es die Farben der Höhenplastik durch ein strenges Gesetz
regelt und nicht der schwankenden Willkür des individuellen Geschmacks anheim
stellt. Das ist wohl sein größter Vorzug, und ich erblicke darin für die Zukunft ein
Mittel, das Kartenmaterial in bezug auf die Höhendarstellung zu vereinheitlichen.
In dem Peuckerschen System, wie es jetzt vorliegt, erblicke ich noch keinen
Abschluß der farbigen Geländedarstellung, sondern für die Gegenwart ein Mittel
zur Vervollkommnung und Vereinheitlichung der Höhenschichtkarten. Tatsächlich
ist es noch entwicklungsfähig. Auch nach der physiologischen und psychologischen
Seite bedarf es tieferer Begründung, wobei an C. Stumpfs Werk Über den psycho
logischen Ursprung der Baumvorstellung, Leipzig 1873, anzuknüpfen wäre, das bis
heute noch die beste Bearbeitung der raumtheoretischen Fragen ist. Aber auch
hier begegnet man von vornherein großen Schwierigkeiten. Je nachdem die Er
örterung empiristisch, gestützt auf Helmholtz, Wundt, Bain, Douder oder Volkmann,
oder nativistisch in Anlehnung an Johann Müller, Panum, Hering, Stumpf u. a.
ist, erhält die Psychologie der Baumwahrnehmung des Auges ein veränderliches
Aussehen. 1 Vor allem sind die neuen und bedeutenden Forschungsergebnisse in
der Farbenlehre von Wilh. Ostwald nicht zu übersehen 1 2 ; von ihnen erwarte ich
1 St. Witasek: Psychologie der Raumwahrnehmung des Auges. Heidelberg 1910, S. 5.
2 W. Ostwald: Die Harmonie der Farben. Leipzig 1918. — Der Farbenatlas. Leipzig 1918.
(Ein Markstein deutscher Wissenschaft und Kultur!) — Die Farbenlehre. T. Mathematische, II. physi
kalische, III. chemische, IV. physiologische u. V. psychologische Farbenlehre. Von diesem Werk sind
I. Leipzig 1918, II. 1919 erschienen.