Die historische Methode in der Kartographie.
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Deutlichkeit und Vollständigkeit, dabei doch zweckmäßige Auswahl, Gleichförmigkeit
der Projektion und des Maßstabes-“ Der Begleittext hat in den spätem Ausgaben
dem Inhaltsverzeichnis weichen müssen. Eine solche Höhe vermochte der Stieler
schon seit der Jubelausgabe in 84 Blättern von 1866 und 1867 zu behaupten, in der
sich die Terraindarstellung eines großem Kartenwerkes zum ersten Male in ausgiebiger
Weise auf Höhenzahlen stützte. Zu dem wohlverdienten Lobe des Stielerschen
Handatlas, das bereits in allerlei Tonarten des In- und Auslandes besungen worden
ist 1 , wollen wir hier weiter keine Lorbeerreiser hinzupflücken, da sich uns noch öfter
die Gelegenheit bieten wird, auf diese und jene Seite des Atlas einzugehen.
Nun soll man nicht glauben, daß mit den heutigen Handatlanten das Non plus
ultra der Kartographie erreicht sei. Neue Zeiten zeitigen neue Bedürfnisse. Auch die
Handatlanten werden sich um wandeln oder wesentlich ergänzen müssen. Sie genügen
wohl heute vollkommen dem Politiker und Zeitungsleser, nicht aber dem Geographen,
es sei denn, daß er recht anspruchslos ist. Doch darüber wollen wir uns später noch
ausführlicher unterhalten und hier bloß hervorheben, daß es uns heute vor allem
an guten deutschen Spezialatlanten, die wissenschaftlichen und praktischen Be
dürfnissen dienen sollen, fehlt. Für die Probleme der Anthropogeographie und Staaten
kunde fehlt uns ein großer methodischer Atlas 1 2 , und die Herstellung eines kultur
geographischen Atlas ist schon seit Jahrzehnten, seit der Zeit, als J. Spörer seinen
geistreichen Aufsatz „zur historischen Erdkunde“ schrieb 3 , ein schöner Traum.
Wir sind also noch an keinem Endpunkt kartographischer Entwicklung an
gekommen, und all die gegenwärtigen scheinbar Superlativen Entwicklungserscheinungen
sind weiter nichts als Durchgangsstufen. Immer wieder muß betont werden, Ziel
und Zweck eines Kartenwerkes sollen dessen Inhalt, Umfang und Güte bestimmen.
1 P. M. 1867, S. 211-217; 1871, S. 321-326; 1874, S. 89-93; 1875, S. 33-35; 1876, S. 1
bis 7; 1879, S. 338 — 344. — Sodann die neuem Aufsätze über Stielers Handatlas von H. Habenicht
in P. M. 1902, S. 12, 13; von H. Wagner in P. M. 1904, S. 1 — 10; von H. Haack: Die Hundertjalrr-
ausgabe von Stielers Handatlas in P. M. 1921, S. 19ff. — Die Güte der Stielerschen und anderer
Karten der Perthesschen Anstalt ist auch in älterer Zeit anerkannt worden. So heißt es im l’Ex
plorateur 1875, Nr. 30 gelegentlich der geographischen Ausstellung der Pariser Weltausstellung 1875:
„Tout le monde sait que les cartes exécutées à l’Institut à Gotha ne brillent pas seulement par la
perfection de leur exécution, mais aussi par leur consciencieuse exactitude et le soin avec lequel les
conquêtes nouvelles de la géographie y sont registrées“. Und in dem ersten Bande der durch M. Ch.
Vélain wieder auferweckten Revue de Géographie (Paris 1906/07) beginnt S. 594 Alphonse Berget
seine Kritik über Stielers Handatlas also: „Une nouvelle édition du célèbre Atlas de Stieler est
toujours chose impatiemment attendue de tous ceux qui, professionnels ou simples amateurs, étudient
la géographie. La réputation de cet atlas est, en effet, universelle, et on peut dire qu’il est un des
plus précieux instruments qui soient à la disposition des géographes.“
2 Dies hat auch F. Hahn zum Ausdruck gebracht, als er über H. Wagners Lehrbuch in P. M.
1900, S. 143 referierte.
3 Die im G. J. 1872, S. 270 niedergelegten Wünsche verdienen es, hier wörtlich wiedergegeben
zu werden: „Noch besitzen wir keinen kulturgeographischen Atlas, welcher uns Blatt für Blatt
den Kulturstand der weltgeschichtlichen Epochen von den Zeiten der Phönizier bis auf die Gegen
wart im Zusammenhänge mit den Verkehrswegen und der auf denselben sich vollziehenden Kultur
bewegung in Kolonisation und Mission, in Handel und Wandel, in den von Epoche zu Epoche die
Knotenpunkte des Land-, Fluß- und Seeverkehrs markierenden Land-, Fluß- und Seehandelsstädten
usf. zur Anschauung brächte. Ein derartiges Kartenwerk, das die Kulturentfaltung der weltgeschicht
lichen Menschheit auf matt angelegtem ethnographischen Farbengrunde an dem Geäder der Verkehrs
linien — Land-, Fluß-, Meeresstraßen, ozeanische Weltstraßen — veranschaulichte, wäre ein vor
zügliches Förderungsmittel für historisch-geographische Studien und eine schöne Beigabe zu den
bereits vorhandenen historisch-geographischen Atlanten.“