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Die Kartographie als Wissenschaft.
Oftmals steht der zu erwartende pekuniäre Gewinn in keinem Verhältnis zu dem
wissenschaftlichen Wert des Unternehmens, noch öfters ist es umgekehrt. Merkanti-
lische Rücksichten schnellerer und billigerer Kartenherstellung machen zuweilen die
Anwendung wenig guter Reproduktionsverfahren unabweisbar. 1 Und diesen Um
stand muß die Kritik, auch die historische, mit berücksichtigen.
B. Zur Erforschung des Wesens der Karte.
I. Die Karte an sich.
lti. Problemstellung über das Wesen der Karte. Die Karte ist der Niederschlag
des geographischen Wissens einer Zeit. Die Karte ist das vornehmste Hilfsmittel
der Geographie. Die Karte ist das unentbehrlichste Werk- und Rüstzeug der geo
graphischen Wissenschaft. Die Karte ist die Basis der Geographie. Die Karte ist in
der Geographie der Stein der W T eisen. Die Karte ist das Auge der Geographie. Diese
und ähnliche Aussprüche bedeutender Geographen und Denker haben sich in der
Geographie einen festen Platz gesichert und der Karte einen Wert verliehen, der weit
über den Wert des Ansehens von Hilfsmitteln in andern Wissenschaften hinausragt.
Und selbst innerhalb der Geographie verschiebt sich allmählich die Stellung der Karte,
insofern sie nicht mehr als reines Hilfsmittel betrachtet wird, das nur mit Hilfe des
ergänzenden Wortes das geographische Objekt zu veranschaulichen vermag, sondern das
vor allem schon durch seine Zeichen wirkt und durch diese die Grundlagen zu neuen
geographischen Abstraktionen liefert, 1 2 insbesondere recht oft dem beschreibenden
Wort reiche Nahrung gewährt und so einen kräftigen Impuls in den wissenschaftlichen
Gedankengang hineinträgt. 3
Die Karte ist an sich schon ein Forschungsobjekt. Dadurch liegt in ihr a priori
ein eminent wissenschaftliches Moment. Insonderheit rücken gegenwärtig ihr Inhalt,
ihre Darstellungsmittel und ihr Zweck in den Vordergrund wissenschaftlicher Er
örterungen. Die Klarlegung des Wesens der Karte wirkt gleichmäßig befruchtend
auf Wissenschaft und Praxis.
Zum Wesen der Karte dringen wir vor, wenn wir zunächst ganz allgemein das
Betätigungsfeld der kartographischen Darstellung und Aufgaben untersuchen, um
1 Darüber klagt bereits H. Kiepert in seinen „Bemerkungen zur Karte“ 1867 in Ad. Bastian:
Reisen in Siam im Jahre 1863. III. Band. Die Völker des östlichen Asiens. Jena 1867. — R. Lorenz
sagt bei Gelegenheit des Besuches der Pariser Weltausstellung 1867 (P. M. 1867, S. 371): „Aber die
Technik des Farbendruckes ist noch so kostspielig, daß nur in seltenen Fällen die Interessen des
Verlagsgeschäftes mit den Wünschen des kolorierenden Autors sich vereinigen; fast immer muß der
letztere, rein nur des Kostenpreises wegen, auf den ihm vorschwebenden hohem Wert seiner geo
graphischen Darstellung in methodischer wie künstlerischer Rücksicht verzichten.“ — Heute, nach
dem Weltkriege, wird die gleiche Klage noch lange am Platze sein, obwohl in dieser Beziehung
sich im Laufe eines halben Säkulums viel geändert und gebessert hat.
2 Man denke nur an das Ausmessen von Linien und Flächen auf den Karten, an die Bestim
mung der mittlern Höhe der Kontinente und der Meere usw.
3 Kein geringerer als E. v. Sydow sprach dies bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert
aus. Der kartographische Standpunkt Europas am Schlüsse des Jahres 1856 m. bes. Rücksicht auf
den Fortschritt der topograph. Spezialkarten. P. M. 1857, S. 1.