Full text: Die Kartenwissenschaft (1)

Die Karte an sich. 
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anschauliche Bild. Mit der Anschaulichkeit muß die den natürlichen Erscheinungen 
eigene Wahrheit gepaart sein. Sie ist für die Karte das Resultat einer verständnis 
vollen Durchdringung der toten Form zur Erkenntnis der gesetzmäßigen Bildung und 
folgenreichen Bedeutung. 1 In dem Kausalnexus dieser drei Glieder des Aufbaues einer 
Karte scheint in neuerer Zeit vielfach das zweite und dritte Glied auf Grund der hohem 
Ausbildung des mathematischen zu leiden. Im Interesse eines guten Kartenbildes 
und der Bedeutung der Mitarbeit am Aufbau eines solchen Werkes sollte niemals über 
sehen werden, daß die drei Glieder, die mathematische Grundlage, die zeichnerische 
Ausstattung und die verständnisvolle Anschauung und Herausarbeitung der terre 
strischen Gebilde oder von physisch-geographischen und anthropogeographischen Tat 
sachen gleichwertige Elemente bei einer Karte sind. Damit wollen wir die hohen An 
forderungen, die an eine gute Karte zu stellen sind, schließen. Je nachdem die Karte 
diesen Anforderungen nachkommt, wird es sich zeigen, ob sie ein harmonisches und 
organisches Ganzes ist oder nicht. 
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20. Die Karte als Ruhepunkt in der Erscheinungen Flucht. Die Karte strebt 
einem hohen Ziele zu, aber auch einem außerordentlich schweren. Vollkommen, d. h. 
restlos wird die großmaßstabig konkrete Karte allenfalls das Ziel erreichen, nie jedoch 
die abstrakte. Bei einer kritischen Analyse der Karte darf, um dies schon vorweg zu 
nehmen, nicht übersehen werden, durch wieviele Hände das Werk gegangen ist, bevor 
es vollendet vorliegt. Ein weiter Weg mit unzähligen Zwischenstufen ist es von der 
Neuaufnahme bis zum Meßtischblatte und wiederum vom Meßtischblatte bis zur Wand 
karte. Hierin liegt offenbar eine Schwäche der kartographischen Arbeit. 1 2 Bei dem 
deutschen Meßtischblatt allein vergehen etwa drei Jahre zwischen topographischer Auf 
nahme und Herausgabe. 1719 bereits wurde von Ad. Fr. Zürner in seinem „Kurtzen 
Entwurff vom Gebrauche, Nutzen und Preisse der Newen Chursächsischen Postcharte“ 
geschrieben: „Allein wie richtig solche — die Landkarten — gemachet, kann ein jeder 
beurteilen, der weiß, was für unsägliche Kosten, Arbeit, Zeit und Wissenschaft er 
fordert wird, etwas accurates hierinnen zu praestiren.“ Es sind vielerlei Kenntnisse 
nötig, um eine Karte richtig einschätzen zu können; denn die Mathematik bestimmt 
das Gerüst (Kartennetz), Geodäsie und Geographie den Stoff, Maßstab und Zweck 
den Inhalt (Stoffauswahl) und die jeweilige Kartentechnik den Grad der Wieder 
gabe des Kartenbildes. Die best entworfene und gezeichnete Karte wird nicht zur 
Geltung kommen, wenn das technische Verfahren versagt. Ebenso ist gewiß, daß die 
vollendeste Technik nicht über die Mängel des Kartenentwurfs hinwegtäuschen kann. 3 
Die Karte ist der mehr oder minder gelungene oder abgeklärte Niederschlag 
des geographischen Wissens einer Zeitperiode. Die alte Karte mit ihrem phantastischen 
Beiwerk wird gern als ein Kind ihrer Zeit hingestellt, doch auch die heutige Karte ist 
nicht minder ein Kind ihrer Zeit. Unser exaktes geographisches Wissen blickt erst auf 
eine kurze Spanne Zeit der Entwicklung zurück. Verschiedene Zweige der Geographie 
sind kaum ihrem embryonalen Zustand entwachsen. Nicht einmal der europäische 
Erdteil ist gleichwertig exakt vermessen und da noch nicht alle Gebiete der heute 
kulturell höchststehenden Staaten, geschweige denn die auswärtigen Kontinente; und 
1 E. v. Sydow: Der kartogr. Standpunkt Europas vom Jahre 1870 u. 1871. P. M. 1872, S. 313. 
2 A. Petermann klagt über die obwaltenden Mißstände bei einer Betrachtung über die Voll 
endung der neuen Ausgabe von A. Stielers Handatlas. P. M. 1876, S. 2. 
3 C. Vogel: Übersichtskarte von Mitteleuropa. P. M. 1887, S. 16.
	        
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