Die Karte an sich.
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gebührend würdigen und sich den Sinn für Qualität, Wirklichkeit und Ursächlichkeit
nicht trüben und täuschen lassen. Gewiß hat es die Kritik in diesen Fällen nicht leicht;
leider sehen wir sie nicht selten sich mit Gemeinplätzen begnügen, mit denen indes
weder der Wissenschaft noch einer ernst vorwärtsstrebenden Kartographie ge
dient ist. 1
Der Kartograph selbst muß mit der größten Peinlichkeit und Sorgfältigkeit an
sein Werk herangehen und selbst die größte Kritik an ihm üben. Sodann ist die Evident -
oder Au-courant-Haltung (die augenblickliche Gewißheit) der Karten ebenso wichtig
wie die Schöpfung der Karte. 1 2 Auf alle Fälle ist der Kartograph der Kritik gegenüber
sichergestellt, sobald das Datum der Herausgabe oder Korrektur, bzw. Revision dem
augenblicklichen Stand der Dinge soviel wie möglich entspricht.
Man sollte meinen, daß die Datierung auch auf chorographischen Karten etwas
Selbstverständliches sei, da schon Mercator in dieser Hinsicht mustergültig vor
gegangen war, denn auf seiner berühmten Weltkarte lesen wir: Duysburgi mense
Augusto 1569. Seinem Beispiel folgten einige gewissenhafte Kartographen. Doch
war in der Folgezeit besonders bei der Art und Weise der gegenseitigen mehr wie
weitherzigen Kartenbenutzung der gute Brauch der Datumangabe überflüssig geworden,
bis erst Guillaume Delisle (1675—17*26) auf seinen Karten wieder mit einer
ausführlichen Zeitangabe an die Öffentlichkeit trat. 3 In den Homannschen Vor
schlägen (Nürnberg 1747, S. 10) wird auf die Wiedergabe des Jahres der Herausgabe
der Homannschen Karten mit Stolz hingewiesen.
Die englischen und französischen Karten des 18. Jahrhunderts zeigen im großen
und ganzen eine leidliche Datierung. Namentlich verfahren die Engländer zuweilen
höchst peinlich, indem sie Tag und Monat der Veröffentlichung verzeichnen. 4 Im
Deutschland des 18. Jahrhunderts war und blieb das Datum der Kartenherausgabe
etwas Seltenes; erst das kommende Jahrhundert brachte eine auffällige Besserung, als
das J. Perthessche Institut mit der genauen Datierung begann. Insonderheit ist der
Stielersche Handatlas mustergültig geworden. 5 In seinen anregenden Kartenaufsätzen
und -besprechungen legte C. Vogel den Kartenzeichnern mehrmals ans Herz, „auf jeder
Einzelkarte die Jahreszahl ihres Erscheinens oder die Neuauflage zu verzeichnen. Es
ist eine Forderung, welcher sie sich im eigensten Interesse unterziehen müssen, sollen
nicht unliebsame Schlüsse daraus gezogen wercfen“. 6 In ähnlicher Weise spricht sich
H. Wagner aus; er betont außerdem noch das Gefühl der Verantwortlichkeit. 7
1 Ein lehrreiches Beispiel für die Veranschaulichung der schnellen Veränderung auf karto
graphischem Gebiete ist das „Probeblatt zur Übersicht der Korrekturen“, das sich auf die Vereinigten
Staaten bezieht und als Taf. 20 dem Jahrgange 1890 von P. M. beigefügt ist.
2 Wie die kartograph. Publikationen auf dem Laufenden zu erhalten sind und worin die Kor
rektur einer Karte besteht, darüber vgl. C. Vogel in P. M. 1893, S. 218—220.
3 So fand ich [in d. Nat.-Bibl. in Paris] von G. Delisle eine „Hemisphere septentrional“ und
„Hemisphere meridional“ vom Juli 1714, ferner eine „Mappenmonde“ vom 15. April 1720.
4 Unter vielen Beispielen sei genannt: A plan of the Town of the Cape of Good Hope and its
environs, taken by Monsr. Bourset, in December 1770. London, publistred by Wm. Paden. Nov. 25.
1795. [Bibi, der K. Geogr. Ges. in London.]
6 Der Andreesche Atlas zeigt erst von der vierten Ausg. an die genaue Datierung, E. Debes’
Handatlas von Anfang an.
6 C. Vogel im Geograph. Monatsbericht über „Reliefkarte der Schweiz“ 1:530000 von
R. Leuzinger. P. M. 1884, S. 429. - Ders. inP. M. 1893, S. 220.
7 H. Wagner: Stielers Handatlas in neuer Gestalt. P. M. 1904, S. 3. — Lehrbuch, a. a. O.
S. 13, Anm. 17.