Die Bedeutung der Karte.
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ihren Höhenzahlen noch keine Werte, die Baumanschauung haben; zu solcher wird
ihnen erst durch eine geschickte Terraindarstellung, mit der man vertraut sein muß,
einigermaßen verholten. Enthält das Buch Flächenzahlen und Angaben über lineare
Größen, wie über die Längen von Flüssen, Küsten usw., kann selbst die eleganteste
und geistreichste Interpretation nicht das sagen, was ein Blick auf die Karte alles
vermittelt. 1
Karte und Buch treffen unter den bunten und mannigfaltigen Erscheinungs
formen der W T elt eine nach bestimmten Grundsätzen geregelte Auswahl. Wahrend das
Buch die geographischen Tatsachen und Begriffe nacheinander vorführt, werden sie
vom Kartenbild in einem Nu präsentiert, weil die Karte, wir wollen einmal sagen in
folge der Zeichnung, etwas Gleichartiges, eine Synthese ist. Sie verknüpft die Tat
sachen sichtbar untereinander und macht diese Verbindungen für den Geist flüssiger
als wenn sie erst durch mühselige Vergleichung der nach und nach vorgeführten Tat
sachen im Buche gewonnen werden.
Ein Totalbild von der Landschaft, wie die Photographie, besonders das Flieger
bild, zu geben ist der Karte sowohl wie dem Buche unmöglich. Was so auf der einen
Seite als Nachteil erscheint, ist auf der andern durchaus ein Vorteil. Die Gesetze des
psychischen Mechanismus lehren, wie bereits hervorgehoben, das Unvermögen, eine
Totalität von Vorstellungen mit einem Male aufzunehmen. Nacheinander treten die
Vorstellungen in unsere Gedankenwelt ein; geschieht es in Beihenform, wird ihnen ein
sicherer Halt im Gedächtnis gegeben. Die Karte vermittelt solche Beihenformen. Was
im Buche erst unter Anwendung größerer geistiger Arbeit herausgeholt werden muß,
bietet sich im Kartenbild systematisch abgestuft und geordnet dar. So steht es außer
allem Zweifel, daß durch die Karte der Denkprozeß wesentlich erleichtert und in einem
weit günstigem Maße als durch das Buch gefördert wird.
24. Zur pädagogischen Bedeutung der Karte. Karte und Bild. Das vorhergehende
Kapitel über Karte und Buch zwingt geradezu auch der pädagogischen Bedeutung
der Karte mit einigen Worten zu gedenken, obwohl das pädagogische Element außer
halb des Bahmens meiner Untersuchungen liegt. In pädagogischer Beziehung hat die
Karte einen Wert, der sie für einen fruchtbringenden Geographieunterricht völlig
unentbehrlich macht, der sie weit über den des Buches hinausreichen läßt. Norbert
Krebs sagt, daß es ein Verkennen der Tatsachen ist, „wenn man das Buch höher ein
geschätzt hat als die Karte. Demgegenüber muß immer wieder betont werden, daß
der Atlas das handlichste und inhaltsreichste geographische Handbuch ist und dabei
viel klarer und lesbarer als das beste Schriftwerk.“ 1 2 Es soll hier nicht die Aufgabe sein,
alle Phasen zu untersuchen, die einer unterrichtlichen Behandlung der Karte zugute
kommen. Wie die Karte mehr öder minder Ausgangspunkt des geographischen Unter
richts ist, zeigen unzählige Aufsätze in schulgeographischen Methodiken. 3 In der Karte
1 Aus obiger Erkenntnis geht letzten Endes auch hervor, daß man das Zeichnen als Raum-
sprache der Lautsprache gegenübersetzt. Bloß durch Zeichnen lernt man sehen, wie schon A. Diester
weg sagte. Vgl. K. Hassert: Das Kartenzeichnen im geograph. Unterricht. Neues Korrespondenz-
blatt f. d. Gelehrten- u. Realschulen Württembergs, Stuttgart 1901. S.-A., S. 7.
2 N. Krebs: Die Bedeutung der geographischen Karte. Geogr. Abende im Zentralinstitut
für Erziehung und Unterricht. Berlin 1919, S. 8. — Vgl. meine Ausführungen S. 67.
3 Wenn H. Zondervan (Allg. Kartenkunde, Leipzig 1901, S. 180) schreibt: „So fand auf
dem im April 1897 in Wien abgehaltenen VI. Deutsch-österreichischen Mittelschultage die Behauptung
des Dr. Juritsch allgemein Beifall, daß der Atlas und nicht das Lehrbuch zur Basis des Unterrichts