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Die See- und Meerkarte.
Projektion“ ist sie gekommen, weil sie mit der Projektion des Sonnenschattens eines
Gnomons oder Sonnenzeigers die größte Ähnlichkeit hat; der hierbei in Frage kommende
Kegel hat seinen Scheitel im Endpunkt des Gnomons und seine kreisförmige Basis
im Deklinationsparallel der Sonne. 3 Bei der Betrachtung der Projektion vom Mittel
punkt der Erde aus sind die größten Kugelkreise Gerade, die kleinern Kugelkreise
hingegen die Grundflächen von Kegeln, deren Scheitel der Mittelpunkt der Kugel
ist und die von der Projektionsebene geschnitten werden. 2 Da die Gnomonik für
die alten Sonnenuhren gewisse Konstruktionselemente vorschrieb, finden wir die
gnomonische Projektion schon auf den Sonnenuhren des 15. Jahrhunderts, aller
dings in primitivster Ausführung. Beizeiten erkannte man auch ihr Geeignet
sein für die Herstellung von Sternkarten. Der erste, der solche Sternkarten zeichnete,
war C. Grienberger 3 , der selbst seinen Entwurf Coelestium imaginum prospectivam
novam nannte. Berühmter sind die Sternkarten geworden, die auf den tüchtigen,
für die Wissenschaft seiner Zeit allzu früh verstorbenen Jesuiten J. G. Pardies (f 1673)
zurückgehen und in Paris 1675 veröffentlicht wurden. 4
Der Übelstand der gnomonischen Projektion ist, daß die Entfernungen vom
Mittelpunkte der Karte selbst wie die Tangenten der Entfernungen von der Mitte der
Karte aus wachsen, wodurch die Gebiete am Rande der Karte außerordentlich verzerrt
werden. Ein weiterer Nachteil der Projektion ist, daß sie die Darstellung einer Hemi
sphäre nicht gestattet. Diese Erkenntnis führte schon beizeiten dazu, bei Himmels
karten nur einzelne Teile des Himmelsgewölbes abzubilden. J. G. Doppelmayr half
sich in glänzender Weise dadurch, daß er den ganzen Himmel durch sechs Karten
in Zentralprojektion darstellte. 5 Diese Art der Darstellung hat sich bis in die Gegen
wart fortgepflanzt. 6 Desgleichen das genannte Erdbild in Würfelform zu geben,
kennen wir aus einem Kartenwerk aus dem Jahre 1803 von E. G. Reichard.
Etwa um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts hatte in nautischen Kreisen
die Kenntnis Platz gegriffen, daß die gnomonische Projektion auch für Seescliiffahrt-
karten mit Erfolg zu benutzen sei. Wenn G. D. E. Weyer hervorhebt, daß eine frühere
Benutzung der gnomonischen Projektion ausgeschlossen gewesen ist, schon wegen
des Anspruchs der Assekuranzen bei Havarien, die das Schiff bei Verfolgung des
nicht gewohnten Seewegs erlitten habe 7 , glaube ich den Grund mehr in der Ent
wicklung der gesamten Schiffahrt zu erblicken. Erst mußte der Dampfer das blaue
Band zur See erobern, denn er kann weit besser als der Segler den Kurs im größten
Kreise verfolgen. Dieser Aufschwung der neuzeitlichen Schiffahrt datiert etwa um 1 2 3 4 5 6 7
1 G. D. E. Weyer: Bericht über d. neuen amerikan. Seekarten in gnomonischer od. Zentral
projektion f. d. Schiffahrt im größten Kreise. Annal. d. Hydrogr. usw. 1890, S. 1(32.
2 Vgl. u. a. J. J. Littjow: Chorographie. Wien 1833, S. 70.
3 G. Grienberger: Prospectiva caelestis, sive tabulae peculiaris ad asterismos in plano de
lineandos. Editio secunda anno 1679, Blatt 5. — Die beigefügte gnomonische Sternkarte ist für die Stern
bilder des Drachen und kleinen Bären konstruiert. [K. Bi. Berlin; Un.-Bi. Göttingen; Br. M. London].
Die erste Aufl. von Grienbergers Werk istum 1612 in Rom erschienen u. hatte seinerzeit berechtigtes
Aufsehen erregt, daß die Aufl., wie es im Vorwort der zweiten heißt, in kurzer Zeit vergriffen war.
4 J. G. Pardies: Globi coelestis in tabulas planas redacti descriptio. Paris 1675.
5 J- G. Doppelmayr: Atlas coelestis, in quo XXX. tabui, astron. aeri incisae continentur.
Nürnberg 1742.
6 Vgl. Six maps of the stars, published under the superintendence of the Society for the dif-
fusion of useful knowledge. London 1883.
7 G. D. E. Weyer, a. a. 0., S. 163.