Die physischen Meerkarten.
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Die Strömungen werden auf den Karten von Kircher durch dicht aneinander
gereihte zarte Wellenlinien dargestellt. Damit werden die gesamten Meeresräume
ausgefüllt. Kein rechter Anhalt ist gegeben, wo die Ströme anfangen oder aufhören,
vielleicht in den mysteriösen Strudeln inmitten der Ozeane ? Viele Strömungen
enden plötzlich ohne jede Motivierung, sie erscheinen wie abgehackt. Es ist ein
mühseliges Beginnen, die Strömungen jener alten Bilder mit denen von heute zu
identifizieren. Hie und da gibt es Teile, die mit unsern heutigen Darstellungen
übereinzustimmen scheinen, im großen und ganzen ist es kaum der Bede wert. Wie
kritiklos selbst Kircher seinen Bildern gegenüber war, beweist die Weltkarte ,,Tabula
geographico-hydrographica motus oceani, currentes“ und die Karte des nördlichen
Atlantischen Ozeans ,,Tabula fluxus et refluxus, rationes in Mari Anglico caeterisque,
circumjacentibus litoribus exhibens“. Auf letzterer Karte ist das gesamte Golfstrom
system mit den Triften, mit Ausnahme des Teiles im Golf von Mexiko, leidlich gut
wiedergegeben. Anstatt nun dieses Bild auf die Weltkarte zu übertragen, wird hier
ein anderes Stromsystem des nördlichen Atlantischen Ozeans gezeichnet, nämlich
ein System, das ganz und gar durch polare Strömungen, die tief äquatorwärts Vor
dringen, beherrscht wird. Auf den Süd- und Nordpolkarten bewegen sich die Strö
mungen besonders eigenartig. Dort ist es ein System von Strömungen, das konzentrisch
den Pol als Mittelpunkt umflutet, auf der arktischen Karte hingegen laufen die Ströme
spiralig im Polpunkt zusammen.
Kirchers Meeresströmungskarten (er hat also einige gezeichnet und nicht bloß
eine, wie man selbst in wissenschaftlichen Büchern, z. B. bei Krug-Genthe, Krümmel
liest) scheinen die ältesten Karten dieser Art zu sein. Nur wenige Jahre später, 1685,
stoßen wir auf eine Strömungskarte der ganzen Erde bei E. G. Happelius 1 , die
keinen Fortschritt dem Kircherschen Bilde gegenüber bedeutet und sicher von diesem
stark beeinflußt ist. Nur die Projektion ist eine andere wie bei Kircher, der für
sein Weltbild die einfache quadratische Plattkarte gewählt hat. Wie man die
Materie seinerzeit noch wenig beherrschte, zeigt der Titel zur Karte von Happelius,
der lautet: „Die Ebbe und Fluth auf einer Flachen Landt-Karten fürgestelt.“ Es
sind durchaus keine Gezeitenströme dargestellt, sondern nur die allgemeinen Meeres
strömungen; auch im Text des Buches werden ausdrücklich die Meeresbewegungen
als „General-Bewegung, besondere Bewegungen, unrichtige oder irriguläre Bewegungen
und Wirbel-Strömen“ von den „sonderbaren täglichen Bewegungen des Meeres oder
dem Abfluß und Zufluß des Meeres, sonst Ebbe und Fluth genandt“ unterschieden.
Hervorstechender noch als bei Kircher sind bei Happelius die fabelhaften strahligen
Strömungen im südlichen Indischen Ozean. In der Nähe des antarktischen Kon
tinents entspringen aus einem gemeinsamen Stromwirbel drei Meereströmungen, die
strahlig und geradlinig verlaufend sich nach Norden wenden, wo sie von einer Gegen
strömung gekreuzt werden. Die gekreuzten Strömungen gehören zu den Kuriosa
der ältern Meeresstromdarstellung. Vielleicht spielen hier die Berichte über Strom
versetzung und die jahreszeitlich wechselnden Monsune im Indischen Ozean mit hinein,
was man damals kartographisch noch nicht zu meistern verstand.
Mit den Karten von Kircher und Happelius verschwinden im 18. Jahrhundert
die Meeresströmungsbilder, die die Meeresräume flächenhaft auszufüllen suchten. * II.
1 E. G. Happelii grössester Denkwürdigkeiten der Welt oder so / genandte Relationes curiosae.
II. Hamburg 1685. (Die Karte zw. d. Seiten 460 u. 461.)
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