Die physischen Meerkarten.
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bis jetzt nicht wieder aufgefunden, wohl aber von J. G. Kohl beschrieben worden. 1
Danach legte Humboldt nicht bloß Wert auf ein richtiges Bild des Golfstroms, sondern
auch auf die Wiedergabe der Wassertemperaturen. Hat Humboldt selbst nicht Hand
an die kartographische Weiterentwicklung des Strombildes gelegt, ist sein Einfluß
auf die deutschen Kartenzeichner doch unverkennbar, wie auf Traugott Bromme
und Heinrich Berghaus.
32. Die wissenschaftlichen Impulse der nenern Meeresströmungskarte. Noch
ein paar Dezennien mußten im 19. Jahrhundert vergehen, bevor das Problem der
Meeresströmungen wissenschaftlich gründlich angepackt wurde. Man erkannte, daß
bei der kartographischen Veranschaulichung neben dem räumlichen Element
ein motorisches, temporales und thermographisches berücksichtigt werden
muß. Die zeichnerischen Darstellungsmittel sind einfache Linie, Wellenlinie, Pfeil,
Strich, Punkt und Farbe. An deren geschickter Auswahl und Komposition liegt es,
wieweit man all den genannten Elementen gerecht werden kann. Vielfach wird die
Frage lebendig, ob es überhaupt möglich ist, ihnen gerecht zu werden, und sehr richtig
heißt es in dem deutschen Dampferhandbuch für den Atlantischen Ozean: ,,Die meisten
kartographischen Darstellungen der Strömungen dürfen daher nur dies beanspruchen,
daß sie einen im großen Durchschnitt wahrscheinlichen Zustand ausdrücken.“ ?
In ähnlicher Weise drückt sich Hermann Berghaus in Berghaus’ Physikalischem
Atlas vom Jahre 1892 aus: „Immer ist im Auge zu behalten, daß derartige Bilder
nur schematische Darstellungen sein können, deren Umgrenzung nach Zeit und Ört
lichkeit vielen Schwankungen unterworfen ist.“ Immerhin bleibt es von Wert, nach
zuforschen, wieweit nun die Grenze des Möglichen immer mehr auf Kosten des zeitlich
geglaubten Unmöglichen erweitert wird. Ferner darf man nicht denken, daß die
Karte, die allen Elementen Ausdruck zu verleihen sucht, die vollkommenste ist; stets
wird es darauf ankommen, wieweit der ozeanographische Inhalt der Karte dem ozeano-
graphischen Wissen ihrer Zeit entspricht. Daß da zuweilen ein Mißverhältnis be
steht, ist leider im Entwicklungsgang der kartographischen Darstellung begründet.
Zuletzt können wir hier nicht untersuchen, wieweit und wann ein Stromsystem richtig
erkannt und abgebildet worden ist. Das muß Sonderabhandlungen Vorbehalten
bleiben. Hierher gehören weiterhin die Zeichnung der Eisgrenzen (ob Feld-, Treib
oder Küsteneis) und die Zeichnung der Sargassosee oder des Fugusmeers von Coroa,
das Delisle schon in dem Atlas nouveau, Amsterdam 1733, vermerkt hatte, dann aber
vergessen wurde und erst durch A. v. Humboldt wieder ins Kartenbild hineingewoben
wurde, um alsdann von A. G. Findlay mit einem Kreislauf der Meeresströmungen
umgeben und später von 0. Krümmel in seiner richtigen Gestalt festgelegt zu werden. 1 2 3
Die Zeichnung der Seeströmungen war zunächst so maniriert, daß sie als selb
ständige Phänomene gegenüber dem andern, als ruhend erscheinenden Meerwasser
hervortraten. Dies Stromabsetzen hat noch tief ins 19. Jahrhundert hinein das
Kartenbild beherrscht. Da melden sich die Karten von J. Bennell, A. v. Humboldt,
1 Vgl. M. Krug, a. a. O., Anm. 34, S. 171.
2 Dampferhandbuch f. d. Atlant. Ozean. Hg. v. d. Deutsch. Seewarte. Hamburg 1905, S. 41
3 O. Krümmel: Die nordatlantische Sargassosee. P. M. 1891, T. X. — Die Karte in Schwarz
druck wiederholt auf S. 7 im 7. Heft des 2. Jahrgangs der Sammlung volkstümlicher Vorträge.
Meereskunde. Berlin 1908. — Reisebeschreibung der Plankton-Expedition. Kjel u. Leipzig 1892,
T. IV. — Vgl. auch den lesenswerten Exkurs üb. d. Sargassosee, S. 117 ff.