Full text: Die Kartenwissenschaft (2)

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Die angewandte Karte und ihre wissenschaftliche Methode. 
bieten, die es mit statistischen Zahlen und Zahlenreihen zu tun haben, findet. 1 Leider 
kranken diese Karten daran, daß sie zu wenig geographische Wärme und Impulse 
besitzen. Selbst das große Publikum wird bei ihrer Benutzung recht wenig befriedigt, 
wiewohl sie doch infolge ihrer raschen und verhältnismäßig preiswerten Herstellung 
für das Zeitungswesen eine große Rolle zu spielen berufen sein müßten. Im Laufe 
der Jahre ist man von ihrer Benutzung wieder abgekommen; teilweise trug ihre Be 
nutzung nur ephemeren Charakter. 
<>0. Volksmengekartogramm und Wahlkarten. Abseits der rein statistischen 
Diagramme sowohl wie der mehr geographisch fundierten Kartogramme steht ein 
Gebilde, das wir als „Volksmengekartogramm“ kennen. Unsere Untersuchung würde 
den Stempel des bewußt Unvollständigen tragen, wenn wir dieser Art kartographischer 
Erscheinung nicht auch einige Worte zollen würden; mit ihr wollen wir langsam zur 
Bevölkerungskarte überleiten. 
Unter den Kartengebilden, die die von Natur oder von Staats wegen festgesetzten 
Formen der Länder verzerren, fesselt die Untersuchung in hohem Grade das Karto 
gramm zur Reichstagswahl von H. Wiechel. 1 2 Es ist der erste Versuch, die einzelnen 
Bestandteile des Reichs, die Einzelstaaten, Provinzen, Kreise und Großstädte, in 
einer ihrer Bewohnerzahl entsprechenden Flächenausdehnung erscheinen zu lassen. 
Wiechel nennt seine Karte ein „Volksmengekartogramm*'. Während die Volks 
dichtekarten die Bevölkerungszahlen ähnlich einer Bergzeichnung, als „ein in Schichten 
manier abgetrepptes Bergrelief“, darstellen, präsentieren sich im Gegensatz dazu 
die einzelnen Volksanhäufungen auf Volksmengekarten als eine gleichdichte Schicht 
oder Haut. Diese gleichdichte Schicht wird demnach als eine der Volksmenge pro 
portionale Fläche konstruiert. 
Die Konstruktion des Volksmengekartogramms kann man sich nach Wiechel 
so denken: Das Volksdichterelief wird platt gewalzt, bis es die Höhe der mittlern 
Volksdichteschicht erreicht hat. Die höher gelegenen Teile werden durch die Ver- 
plattung in die Breite verschoben. Dadurch sind die benachbarten minder dichten 
Gebiete einesteils schon zusammengedrängt worden, andernteils werden sie von der 
Seite her durch horizontal wirkenden Schub auf die mittlere Volksdichte zusammen 
geschoben. Das Ergebnis des Plattwalzens und Zusammenschiebens ist das Karto 
gramm mit überall gleicher Volksdichte. Wie leicht zu verstehen, springt durch dieses 
Verfahren das gesamte Kartenbild aus seinen Fugen, wird verzerrt und verrenkt, 
und nur notdürftig können einige Breitenkreise, einige Fluß- und Verkehrslinien 
— aber auch diese Kartenelemente sind verzerrt! — den alten Zusammenhang aufrecht 
erhalten, und Wiechel bekennt selber: „Wollte man aus dem Gebiet der Mathematik 
und Projektionslehre Hilfsmittel als Konstruktionsbehelfe für Volksdichtekartogramme 
(er meint Volksmengekartogramme) heranziehen, so würde dies, wie es scheint, 
ein vergebliches Bemühen sein.“ Damit hat er selbst den Stab über sein eigenes 
1 Sowohl von den lithographisch wie von den typographisch hergestellten schematischen, 
statistischen Karten finden sich Beispiele in den Veröffentlichungen, die das Kaiserl. Statist. Amt 
den Teilnehmern an der IX. Tagung des Internationalen Statistischen Instituts (Berlin 1903) zur 
Verfügung gestellt hat. Vgl. hierüber auch P. Mayet: Die schematisch-statistischen Karten des 
Kaiserl. Statist. Amts zu Berlin, mit vier Karten. Internationales Statistisches Institut. Berlin 1903. 
2 Kartogramm zur Reichstagswahl. Zwei Wahlkarten des Deutschen Reiches in alter und 
neuer Darstellung mit politisch-statistischen Begleitworten und kartographischen Erläuterungen 
von H. Haack u. H. Wiechel. Gotha 1903.
	        
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