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Die angewandte Karte und ihre wissenschaftliche Methode.
73. Das geographisch Unvollkommene des Volksdichtekartogramms. Die Volks
dichtekarten, wie sie in strenger Weise 0. Schlüter, E. Friedrich u. a. bis auf
J. Hagemann zeichneten und forderten, sind gleichfalls, wie des öftern schon gesagt,
nichts anders als Volksdichtekartogramme. Das durch sie gegebene mosaikartige,
meist unruhig wirkende Bild befriedigt den Geographen keineswegs; er will mehr
von der Karte. Wie wir wissen, hat E. Behm dies bereits gefühlt und zum Ausdruck
gebracht Die starren Vertreter des Volksdichtekartogramms gehen von der Ansicht
aus, daß die Arbeit des Volksdichtebearbeiters erst jenseit des Kartogramms beginnt.
Diese Arbeitsregel wird aber vielfach durchbrochen, und zwar auch von Autoren,
deren Volksdichtekarten nicht ihre geographischen Erstlinge sind. Das gibt gewiß
zu denken. Der Geograph will eben mehr von der Volksdichtekarte haben als was
das Volksdichtekartogramm bietet, er wird darum gegebenenfalls auch einmal
verschiedene Ursachen in dem Volksdichtebild widerspiegeln lassen, die das
Kartogramm ängstlich meidet.
Der Satz von J. Hagemann, „daß es eine tatsächliche Unmöglichkeit ist,
die Ursachen der Volksdichte kartographisch darzustellen“ 1 , kann von geographischer
Seite nicht so ohne weiteres hingenommen werden, wenn er auch von verschiedenen
Geographen unterstützt wird. Ein ersprießliches Feld kartographischer Betätigung
würde dadurch unterbunden. Zu diesem Ausspruch hat Hagemann sicher der
Gedankengang geführt, daß es unmöglich ist, ein vollständiges Bild von den
Ursachen der Volksdichte auf einer Karte zu geben, also von der geologischen Zu
sammensetzung des Bodens, den oro- und hydrographischen Verhältnissen, der Boden
fruchtbarkeit und Bodenertragfähigkeit, der Bodenbedeckung, den landwirtschaft
lichen Besitzeigentümlichkeiten und den wirtschaftlichen Verhältnissen, wie sie sich
aus der Verkehrslage, der Gewinnung von Bodenschätzen und aus Gewerbe und
Industrie ergeben. Würden so vielerlei Anforderungen an eine Karte gestellt, da
wäre es beispielsweise heute noch nicht möglich, eine Wirtschaftskarte irgendeines
Landes zu zeichnen; es ist absolut unmöglich, so ideal es auch wäre, alle wirtschaft
lichen Ursachen und Erscheinungen, die die wirtschaftliche Ausstattung einer Land
schaft ausmachen, auf ein einziges Kartenbild zu bannen. Nur die Hauptsachen
bei sehr sorgfältiger Auswahl können kartographisch fixiert werden. Diesem Vorgang
entsprechend kann der Geograph mit dem Volksdichtekartogramm verfahren; für
ihn ist es nichts anders als eine Vorarbeit, die eine halbwegs gesicherte Basis bietet,
auf der er nach geographischer Methode weiterbaut, sei es nun, daß er das Karto
gramm textlich ausbeutet oder es kartographisch umwertet zum Aufbau neuer Karten,
wie es in letzterer Hinsicht K. Closterhalfen 1 2 u. a. getan haben. Natürlich ist
bei diesen Experimenten immer größte Vorsicht geboten. Maßstab und Zweck werden
auch hier das gebietende Wort sprechen.
74. Reinliche Scheidung zwischen Yolksdichtekartogramm und Volksdichte
karte. Gehen die Volksdichtekarten in unserm Sinne über das Kartogramm oder,
um mit Hettner und Schlüter zu reden, über das Ziel der eigentlichen Volks
dichtekarte hinaus, drängt sich die Frage auf: Verdient diese Art Bevölkerungs
1 J. Hagemann, а. а. O., S. 9.
2 K. Closterhalfen: Die kartographische Darstellung der Volksdichte. P. M. 1912,
II, T. 37.