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Die angewandte Karte und ihre wissenschaftliche Methode.
All die Karten der mittlern Küstenfernen und Grenzabstände, die die ebenso
einfache wie wichtige Beziehung eines bestimmten Erdraumes zu seiner Grenze zum
Ausdruck bringen, geben nur einen ganz allgemeinen Einblick in die größere oder
geringere Aufgeschlossenheit und Zugänglichkeit eines Landraums, sie haben lediglich
die horizontale Entfernung zum Vorwurf und geben keine Aufschlüsse über die
Beschaffenheit der Zwischenstrecke und über die Art der vorhandenen Verkehrs
mittel. Damit entziehen sich diese Karten der Beurteilung gerade derjenigen Faktoren,
die für die leichtere oder schwierigere, schnellere oder langsamere Zurücklegung
eines Weges oder — mit andern Worten — für die Beschleunigung bzw. Verzögerung
des Verkehrs ausschlaggebend sind. Sie bringen bloß einen Exponenten der geo
graphischen Gliederung zum Ausdruck und haben, unter diesem Gesichtspunkt be
trachtet, sodann mehr theoretischen als praktischen Wert.
Die Konstruktion der mittlern Fernen, wie sie durch C. Bohrbach und
A. Penck teils vorgeschlagen, teils geübt worden sind, werden nur in beschränktem
Maße dem Gesetz der großen Zahl im Aufbau der Karten gerecht, da sie rein mathe
matisch-konstruktiv sind, ohne bis zum Typischen (auf dem Kartenbild selbst) vor
zudringen. Wohl lassen sich mit Hilfe der vergleichenden Deduktion einige typische
Momente herausschälen. Das hat Bohrbach im Auge, wenn er die mittlere Zugänglich
keit der Kontinente gegeneinander abwägt. Indes ist nicht in Abrede zu stellen, daß
trotz der gegenseitigen Wertabschätzung die Ergebnisse, wenn wir die oben mitgeteilte
Gegenmeinung rekapitulieren, doch nur einen approximativen Wert haben. Sobald
Berechnung und Konstruktion auf bestimmten wirtschaftlichen Beellitäten fußen,
werden wir zu einer Anzahl von Karten geführt, die typische Werte repräsentieren
und von eminent praktischem Interesse sind. Wir gelangen zu der erst im Entstehen
begriffenen Gruppe der Karten der mittlern Eisenbahnferne, der mittlern Stations
dichte, einzelner Abarten von Isochronenkarten u. a. m. Den Isochronenkarten,
mit denen ich mich noch eingehender in dem Sonderabschnitt über die Verkehrskarte
beschäftigen werde, wird durch die Bestimmung der mittlern Zeitdauer (Beisedauer)
ein erweiterter Inhalt gegeben.
93. Mittlere Reisedauer. Das Bedürfnis der Beedereien nach der mutmaßlichen
(mittlern) Dauer von Segelschiffreisen, sowohl für die Ausreise wie für die Heim
fahrt, hat zu der Ausführung von Isochronenkarten auf ozeanischen Segelreisen ge
führt. G. Schott veröffentlichte 1895 auf Grund eines mehr als zehnjährigen
Beobachtungsmaterials aus den meteorologischen Journalen, die bei der Deutschen
Seewarte durch deutsche Segler eingeliefert wurden, Karten mit Linien gleicher
mittlerer Beisedauer deutscher Segelschiffe. 1 Kap Lizard wird als Ausgangspunkt
für die Beisen wie als ihr Endpunkt angenommen. Die Isochronen sind von fünf zu
fünf Tagen gezogen. Nach jüngerm Beobachtungsmaterial der Deutschen Seewarte,
für die Jahre 1893—1904, sind die Schott sehen Karten durch A. Paulus für eine
neuere Zeit wiederholt worden. 1 2 Abgesehen davon, daß die Karten von Schott
und Paulus des für die Anschaulichkeit der Isochronenkarten so wichtigen Elements
1 G. Schott: Die Verkehrswege der transozeanischen Segelschiffahrt der Gegenwart. Z. d.
Ges. f. Erdk. Berlin 1895, 4 Tafeln.
2 A. Paulus: Die Reisen deutscher Segelschiffe in den Jahren 1893—1904 und ihre mittlere
Dauer. Archiv d. Deutschen Seewarte, Hamburg 1907, 30. Jg., 2 Übersichtskarten.