Full text: Die Kartenwissenschaft (2. Band)

Die Funktionen der Mittelwerte auf Verkehrs- und wirtschaftsgeographischen Karten. 213 
des Flächenkolorits entbehren, sind sie die ersten, die die mittlere Reisedauer eines 
bestimmten Verkehrsmittels auf bestimmten Routen kartographisch fixiert haben. 
Da die Segelschiffahrt nicht mit der Pünktlichkeit des Reisens wie die Dampf 
schiffahrt rechnen kann und eine einmal schnell durchsegelte Route noch kein Maß 
stab für die dauernde Höchstleistung des Transportmittels ist, wird man es erklärlich 
finden, daß vonseiten der Reederei aus das Bedürfnis nach Veranschaulichung der 
mittlern Reisedauer der Segler zum Ausdruck kam. Gerade dieser Mittelwert ist 
typisch für die Reisen der deutschen Segler um Kap Hoorn und Kap der Guten 
Hoffnung. 
Etwas anders ist es, wenn einem einzelnen Verkehrsmittel eine bestimmte Fahrt 
dauer festgesetzt werden kann, wie dem Dampfer, noch besser der Eisenbahn. Inter 
essieren im allgemeinen mehr die Höchstleistungen, die dauernd erreicht werden, 
erheben doch auch hier die mittlern Zahlen werte Anspruch auf Beachtung. Auf 
Grundlage eines ziemlich komplizierten rechnerischen Verfahrens gewinnt J. Riedel 
aus der Zahl der Züge und ihrer mittlern Geschwindigkeit, also aus Häufigkeit und 
Schnelligkeit des Bahnverkehrs, eine mathematische Formel für die mittlere Reise 
dauer, die in einer Isochronenkarte des Gesamtverkehrs ihren kartographischen 
Ausdruck findet. 1 Indem Riedel die Häufigkeit des Verkehrs mit in Anrechnung 
setzt, verwischt er die typischen Werte der mittlern Reisedauer. Für Strecken, die 
die Hundert-Kilometer-Entfernung überschritten haben, spielt die Häufigkeit nicht 
immer die ausschlaggebende Rolle für die Bedeutung der betreffenden Strecke; ge 
setzt den Fall, der Ort A liegt vom Ort C und ebenso vom Ort B fast gleich weit ent 
fernt, die Strecke A C ist die von Bahnen häufiger befahrene, weil sie zugleich Durch 
gangsstrecke eines internationalen Verkehrsstranges ist, dagegen ist die Strecke A B 
obwohl darauf weniger Züge verkehren, für A hoch bedeutend, weil sie die Anfangs- 
bzw. Endstrecke wichtiger Bahnlinien von A ist. Der Riedel sehe Mittelwert gibt für 
entferntere und wenig befahrene Linien geradezu ein falsches Bild von deren Zeit 
entfernung, die von technischen Einrichtungen und Vervollkommnungen schon seit 
Jahren gekürzt worden ist. 
Die Isochronenkarte Riedels ist für ein vergleichendes Verkehrsbild der nächsten 
Umgebung der Großstädte brauchbar, wie denn auch H. Ha s sing er in ähnlicher 
Weise, sogar mit Einrechnung des relativen Fahrpreises und nach wesentlich ein 
facherer und praktischerer Ansatzformel als Riedel die Großstadtgrenze als reine 
Verkehrsgrenze bestimmt und für seinen Kartenmittelpunkt Wien die Großstadt 
grenze bei der Einstundenisochrone findet. 1 2 
Wird die Riedel sehe Methode, die die Geschwindigkeiten verkleinert, auf Karten 
umfangreicher Gebiete (in 1 :300000 und kleinern Maßstäben) angewendet, sind 
die gefundenen Werte für die Festlegung der Isochronenkurve im großen ganzen 
vielfach zu klein. Sie sind infolgedessen nicht irrelevant, und Riedel befindet sich im 
Irrtum, wenn er schreibt, daß seine Angaben den Vorzug haben, „daß sie eine wirk 
liche feste Basis für den Vergleich historischer und gegenwärtiger Karten, mecha 
nischen und animalischen Verkehrs gewähren“. Diese Grundlage kann nur die Iso- 
1 J. Riedel: Anreggn. f. d. Konstruktion u. die Verwendung von Isochronenkarten. Diss. 
Leipzig, Weida i. Th. 1911. 
2 H. Hassinger: Beiträge zur Siedlungs- und Verkehrgeographie von WieD. Mitt. d. Geogr. 
Ges. in Wien. 53. Bd. 1910.
	        
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