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Die See- und Meerkarte.
v. Wies er zur Einführung uncl zum Gebrauch angelegentlichst empfiehlt. 1 Die
Untersuchung über den Wert und die Berechtigung der Bezeichnung „loxodromische“
oder „orthodromische“ Karten überweisen wir dem Abschnitt über das Problem
der Entstehung der Rumbenkarten. Was man seither als Kompaßkarten oder Portulan
karten oder nur Portulan bezeichnet, nenne ich Rumbenkarten 1 2 und glaube damit
einen treffendem Ausdruck gefunden zu haben. Außerdem darf ein so ausgezeichnetes
und früher allgemein gültiges Wort, wie „Rumb“, das in der altern Hydrographie
und Geographie eine bedeutende Rolle auf Jahrhunderte hinaus gespielt hat,
der neuern Wissenschaft nicht verloren gehen. In England ist es heute noch gang
und gäbe.
Neben den Rumben ist auf den Meilen maßstab zu achten, der jeder Karte
beigegeben ist. Die Ansicht 0. Pescheis, daß die Portulankarten ohne jeglichen
Maßstab seien, ist längst widerlegt worden. 3 Entweder hat Peschei nur minder
wertige Reproduktionen in der Hand gehabt oder Rumbenkarten nur flüchtig be
trachtet, was indessen ausgeschlossen erscheint, da er ein gutes Auge für kartographische
Sonderheiten und Unterschiede hatte. Auf den ältern Rumbenkarten zeigt der Meilen
maßstab in der Regel 20 milia, welches Maß gelegentlich als Radius für den Kranz
der Rumbenbüschel, die sich in gleicher Entfernung um das Zentralbüschel herum
lagern, benutzt worden zu sein scheint, wenigstens wie es sich kartometrisch aus den
Rumbenkarten von Petrus Yesconte und Angelino Dulcert nachweisen läßt, desgleichen
auf einer autorlosen Karte von 1351, bekannt als Portolano Laurenziano-Gaddiano
seu Atlante Mediceo. 4 Mit Zirkel und Maßstab muß den ältern Karten zu Leibe
gerückt werden, wenn man zu greifbaren Ergebnissen gelangen will, übrigens eine
Methode, von der schon E. A. v. Nordenskiöld reichlich Gebrauch gemacht hatte
und auf die immer wieder durch Musterbeispiele aufmerksam zu machen H. Wagner
nicht müde wird.
Das YerjüngungsVerhältnis der alten Rumbenkarten war im Mittel praeter
propter 1 : 6000000, was in der Hauptsache mit dem Pergament, dem Fell, worauf
die Karte entworfen wurde, zusammenhing. Die Karten umfaßten das östliche oder
westliche Mittelmeerbecken, zumeist jedoch das gesamte Mittelmeer. Sie waren
demnach nicht Seekarten (= Küstenkarten) in unserm alltäglichen Sinne, sondern
das, was wir heute allenfalls als Übersichtskarten zu See bezeichnen. Aber auch
Segelkarten in größerm Maßstabe bis hinab zu etwa 1 :1 500000 kannte man für einzelne
Inselgebiete, namentlich für den griechischen Archipel. 5
1 M. Eckert: Die Kartenwissenschaft. I, S. 119. Anm. 6. wo man auch liest, daß v. Wieser
nicht der Erfinder des Ausdrucks „Portulankarte“ ist. Bei diesen Betrachtungen ist K. Kretschmer:
Die italien. Portulane des Mittelalters, Berlin 1909, S. 3Gff., nicht zu übersehen; s. auch H. Wagner:
Lehrbuch der Geographie. 10. Aufl. 1,1. Hannover u. Leipzig 1920. S. 205 Anm. 24. — Über
Literatur zu den „Compaßkarten“ vgl. auch Anm. 1 auf S. 11 bei Fr. Wieser: Der Portulan
Philipps II. von Spanien. Wien 1876.
2 M. Eckert: Die Karten Wissenschaft. I, S. 119. Da spreche ich von „orthodromischen
Windstrahlenkarten“; indessen ziehe ich heute den Ausdruck „Rumbenkarte“ vor.
3 H. Wa gner: Das Rätsel der Kompaßkarten im Lichte der Gesamtentwicklg. der Seekarten.
Verh. des XI. Deutsch. Geogr.-Tages zu Bremen 1895. Berlin 1896, S. 71. — Auf Wagners For
schungen beruht die gleiche Ansicht E. Stegers, eines Schülers von Wagner, in den „Untersuchungen
üb. ital. Seekarten des Mittelalters auf Grund der kartometr. Methode.“ Diss. Göttingen 1896, S. 1.
J Vgl. Nordenskiöld: Periplus, T. VII, VIII u. X.
5 Vgl. Nordenskiöld: Periplus, S. 24.