Die geologischen Karten und Verwandte.
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G. de Geer die Abschmelzdauer des Binneneises auf 12000 Jahre. 1 A. Dannen
berg bezeichnet diese Berechnung für kürzere geologische Abschnitte als wertvoll
und der Wahrheit vermutlich nahekommend. 1 2 Trotzdem haften diesen und ähnlichen
Ermittlungen Fehlerquellen an 3 und wir halten demnach daran fest, daß — vielleicht
mit Ausnahme des Geerschen Beispiels — es bis jetzt noch nicht gelungen ist, die
Zeitdauer der Bildung der einzelnen Formationen nach einem halbwegs befriedigenden
Zeitmaß festzusetzen, und daß wir demnach nicht einmal sagen können, ob die Ent
wicklungsgeschichte einer Formation kürzer oder länger als die mehrerer For
mationen ist. Man verfällt nur allzuleicht in den Fehler, Naturphänomene mit dem
unvollkommnen menschlichen Maß zu messen. Daher muß auch von einem Schlag
wort wie „Momentphotographie“ abgesehen werden; die Karten der Land- und Meer
grenzen eines sog. begrenzten geologischen Zeitabschnitts sind gleichfalls Durchschnitts
werte, selbst die kolorierte Karte des Miozänmeeres von G. Vasseur 4 , die man „als
erste Skizze, auf der ein allerkürzester geologischer Augenblick (nämlich der Sables
de Fontainebleau) festgehalten wird“, preist, ist lediglich ein Durchschnittswert. Eine
weitere Folge ist, daß man die Gruppierung der paläogeographischen Karten nicht nach
einer bis jetzt absolut unkontrollierbaren Zeitdauer einer oder mehrerer Formationen
vornehmen will, sondern einfach nach der Zahl der Schichten. Demnach müßte man
von einschichtigen Karten (Canu, Lapparent, Vasseur, Pompecki) 5 und mehr
schichtigen sprechen, letztere weiterhin rubrizieren in Karten mit mehreren Schichten
einer Formation (Neumayr, Kossmat) und solche mit den Schichten verschiedener For
mationen (Übersichtskarten in Kokens Vorwelt 6 , in der Lethaea palaeozoica). 7
Prinzipielle Bedenken gegen paläogeographische Karten und deren Unterlagen
sind verschiedentlich laut geworden. Dacque hat sie erörtert, ungerechte Angriffe
zurückgewiesen und nicht ganz gerechte gemildert. 8 Doch bezüglich der Projektionen
für die in Frage kommenden Karten ist er nicht zur völligen Klarheit vorgedrungen.
Es soll ihm nicht ein Vorwurf erwachsen; diese Dinge liegen seinen Forschungen zu
fern. Aber an der Tür eines Sachverständigen hätte man doch anklopfen sollen und
vor mancher schiefen Ansicht wäre man bewahrt geblieben.
Wir projizieren das rekonstruierte Erdbild auf tinen Umriß, wie er sich aus
dem heutigen Rotationssphäroid, dem Geoid ergibt; das ist offenbar ein Anachronismus.
Setzen wir voraus, daß sich die Pole im Laufe der Erdgeschichte mehrfach verlagert
haben, daß die Erde nach der Schrumpfungstheorie früher eine wesentlich größere
Gestalt gehabt haben muß, und in der Folge einen großem Erdradius, vielleicht auch
eine bedeutende Schwulst am Äquator, dann ist in kein heutiges Netz das alte Erdbild
1 G. de Geer: Geol. Förening. Förhandl. XXX. Stockholm 1909, S. 457. — Geol. Rund
schau XXX, 1912, S. 7. — Vgl. auch L. v. Post: En exakt geologisk tideräkning. Popul. natur-
vetensk. revy I. Stockholm, 1911, S. 11.
2 A. Dannenberg i. P. M. 1913, I, S. 33.
3 Em. Kayser: Lehrb. der Geologie. I. Bd. 6. Aufl. Stuttgart 1921, S. 74.
4 G. Vasseur: Recherche géologiques sur les terrains de la France occidentale. I. Partie.
Bretagne. Paris 1881, T. 9.
5 J. F. Pompecki: Üb. Aucellen- u. aueellenähnliche Formen. N. Jahrb. f. Min. usw.
Beilagebd. XIV. 1901. T. 17.
6 E. Koken: Die Vorwelt u. ihre Entwicklungsgeschichte. Leipzig 1903.
7 Fr. Frech: Lethaea palaeozoica. II. 1897 u. ff. —Vgl. ferner W. Kilian: Lethaea geo-
gnostica. II. Bd. 3. 1907.
8 Siehe besonders S. 370 — 375 in E. Dacqué: Grundlagen, a. a. O.