Terrenergetische Karten.
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Man darf annehmen, daß Edmund Halley, bevor er seine Deklinationskarte
um 1700 zeichnete, die Ausführungen von Kircher kannte, denn sie waren in mehreren
Ausgaben weithin verbreitet. Auch der Gebrauch der Bezeichnung „tractus chalybo-
clitici“ 1 läßt auf die Kenntnis Kirchers schließen. Dadurch, daß er selbst seine Karten
ohne jedes wissenschaftliche Begleitwort der Öffentlichkeit übergab, kann man das
stillschweigende Einverständnis erkennen, daß er nicht der Urheber der Ideen zur
Herstellung magnetischer Karten gewesen ist. Die gleiche Ansicht scheint auch
Hellmann zu teilen. Wie dem nun sei, sicher ist, daß in der Geschichte der Erkenntnis
des Erdmagnetismus durch Halley eine neue Epoche herbeigeführt wurde 2 ; und mit
ihm läßt Hellmann die erste Periode der magnetischen Karte beginnen, die
von 1700 bis etwa 1835 reicht.
E. Halleys berühmte Karte führt den Titel: Nova et accuratissima totius
terrarum orbis Tabula Nautica, variationuni magneticarum index juxta obser-
vationes Anno 1700 habitas; constructa per Edm. Halley. Sie ist höchstwahr
scheinlich 1702 in London gedruckt und somit einem großem Benutzerkreis zugänglich
gemacht worden. 3 Auf ihr, die in Mercatorprojektion und in einem Maßstab von
etwa 1 : 32000000 entworfen ist, sehen wir die Variationslinien für den Atlantischen,
Indischen und westlichen Großen Ozean. Der größte Teil seiner Karte ist von Linien
entblößt. Halley war gewissenhaft genug, wie schon Leonhard Euler schrieb, „die
Linien nicht weiter zu ziehen, als seine Beobachtungen gingen“. 4 Von 10 zu 10°
sind sie stark ausgezogen, die dazwischen liegenden 5"-Intervalle werden durch
geschieden, während the line of no Variation als Doppellinie erscheint. Außerdem
sind auf der Karte mit Pfeilen die hauptsächlichsten Windrichtungen angegeben.
Die Monsume und Passatwinde sind durch eng aneinander gelegte Striche besonders
gekennzeichnet. Der gesamte Aufbau der Karte zeigt, wie auch ihr Name sagt, daß
sie in erster Linie für den Seemann bestimmt ist.
Die Karte von Halley bildete das Muster für eine große Anzahl von Karten
des 18. Jahrhunderts. Bald mehr, bald weniger verändert tritt sie uns entgegen.
In diesem Dominieren der Karte erblickt Hellmann ein Charakteristikum der Periode
von 1700—1835. Unter den in Frage kommenden Karten sind die nennenswertesten
die von W. Mountaine und J. Dodson für das Jahr 1744, für das gleiche Jahr
auch die von P. van Musschenbroek und die von Bouquer. 5 Unter J. N. Bellin’s
Redaktion entstanden eine Menge Seekarten in Paris, darunter auch die Carte des
variations de la boussole, Paris 1765 6 . Sie war nach der Halleyschen Karte die erste
1 Nicht „tractus chalyboeliticos“, wie es bei A. v. Humboldt heißt, s. Anm. 3.
2 A. v. Humboldt, a. a. O., S. 58.
3 Auf dem Exemplar, das ich im Britischen Museum sah, ist das Jahr 1702 eingeklammert
und mit Fragezeichen versehen; auf dem Exemplar in der Ges. f. Erdk. zu Amsterdam sah ich weder
einen besondern Ausgabeort noch besondern Ausgabetermin. Ob Hellmann letzteres Exemplar
kennt, geht aus seiner Abhandlung nicht hervor. Die Bemerkung „1702“ auf der Londoner Karte
scheint neuern Datums zu sein, veranlaßt vielleicht durch L. A. Bauers Terrestical magnetism, I,
S. 28. Ich habe dies bisher nicht entscheiden können. — Vgl. auch die Reproduktion der Karte als
T. 1 in Neudrucke von Schriften u. Karten üb. Meteorologie u. Erdmagnetismus, hg. von G. Hell
mann. Nr. 4. E. Halley, W. Whiston, J. C. Wilcke, A. v. Humboldt, C. Hansteen. Die ältesten
Karten der Isogonen, Isoklinen, Isodynamen, 1701, 1721, 1768, 1804, 1825, 1826. Berlin 1895.
4 L. Eulers Briefe üb. verschiedene Gegenstände aus der Naturlehre. Nach der Ausg. von
Condorcet u. de la Croix übersetzt von Fr. Kries. III. Leipzig 1794, S. 101.
5 G. Hellmann, a. a. O., S. 33.
6 J. N. Bellin: Carte des variations de la boussole. Paris 1765. [Br. M. London.]